Saly Harry Sichel
Saly Harry Sichel, Foto: Stadtarchiv München, Kennkartendoppel 1939
Geboren am 5. Februar 1899 in Pforzheim
Gestorben am 4. Oktober 1973 in Portland, Oregon, USA
Herkunft und familiärer Hintergrund
Saly Harry Sichel wurde am 5. Februar 1899 in Pforzheim, als eines von vier Kindern von Sofie, geborene Höchstetter, und Don Sichel, geboren. Seine Geschwister hießen Julie (Julchen), Lina und Alfred.
Sein Vater Don (15. Mai 1865 – 20. November 1929) stammte aus Kleinheubach, seine Mutter Sofie, geboren am 20. Dezember 1872, aus Laupheim, der um die Mitte des 19. Jahrhunderts größten jüdischen Gemeinde Württembergs.
Eheschließung und Familiengründung
Saly Sichel zog von Sulzbach, am 28. Mai 1926, nach München und wohnte zuerst in der Löwengrube 16. Später war seine Adresse Westenriederstraße 4. In dieser Zeit lernten sich Saly Sichel und Herta Maria Horn kennen und sie heirateten am 10. September 1931.
Herta Marta Horn, geboren am 10. Februar 1902, stammte aus Mügeln in Sachsen. Sie war keine Jüdin.
Hochzeitsfoto von Saly und Herta Sichel, München 1931, Foto: Deborah Terrill via WikiTreeFoto
Ihre Tochter Edith wurde am 27. Juni 1932 im München geboren. Sie galt laut der Nürnberger Gesetze als „Mischling“, da ihr Vater „Volljude“ und ihre Großeltern jüdisch waren.
Nach der Geburt der Tochter zog die junge Familie in die Schwalbenstraße 2. Dort wohnte sie bis zum Juli 1936.
Saly Sichel war Kaufmann und betrieb schon seit 19. Oktober 1929 in der Schwanthalerstraße 32/I einen Großhandel mit Reklame- und Faschingsartikeln, Papierwaren und Schaufensterdekorationsartikeln. Er firmierte unter dem Namen „Reklame-Sichel“.
Im Sommer 1936 zog die Familie in das Haus der Firma. Das Haus gehörte der Familie Neuburger, die Ende 1936 nach Amsterdam emigrierte.Die Großeltern blieben allerdings in München. Das Haus sollte verkauft werden, was aber von den Behörden verhindert wurde. Gemäß deren Anordnung wurde es zur Unterbringung von Jüdinnen und Juden bestimmt und zu einem sogenannten Judenhaus.
Die Repressalien nahmen weiter zu. Am 13. März erfolgte der sogenannte Anschluss Österreichs, in dessen Folge es zu massiven Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung kam. Über 70000 Jüdinnen und Juden wurden verhaftet. Die Transporte nach Dachau begannen.
Am 15. Dezember 1938 meldete Saly Sichel sein Geschäft „Reklame-Sichel“ ab.
Flucht und Ausreise in die USA
Nach den Novemberpogromen 1938 tauchte er kurz in Holland unter. Seine Kennkarte, ausgestellt in München, datiert vom 22. März 1939 und die Volkszählung vom 17. Mai 1939 weist den Wohnsitz der Familie in der Goethestraße 54 aus. Dort wohnte sie seit April 1939.
Von hier plante Saly Sichel wahrscheinlich Flucht und Ausreise aus Nazideutschland und traf dafür die letzten entscheidenden, lebensrettenden Maßnahmen:
Am 17. Juli 1939 erhielten die drei die Ausreisevisa SEC.5.QIV.728, 729 und 730, ausgestellt in Stuttgart. Sie reisten daraufhin nach Liverpool und konnten am 29. Juli 1939 im Hafen an Bord der SS-Samaria gehen und nach den USA reisen, wo sie am 8. August 1939 ankamen.
Am 1.September 1939 begann der II. Weltkrieg. Saly Sichel stellte am 18. November 1939 in Portland/Oregon den Antrag auf permanent residence.
Rettung und Vernichtung
Für Saly und Herta Marta Sichel muss die nervliche Anspannung und Unsicherheit bis zur glücklichen Ankunft in den USA sehr groß gewesen sein. Die Hetze, Ausgrenzung und Gewalt gegen Jüdinnen und Juden nahmen gerade in München seit dem „Anschluss“ von Österreich, im März 1938, täglich zu und gipfelten in den Pogromnächten im November. Gleichzeitig gestalteten sich die Ausreisen immer schwieriger und mögliche Aufnahmeländer behandelten Einreiseanträge zunehmend restriktiver.
Der Leiter des US- Generalkonsulats Konsul Samuel (Sam) Honaker (1887-1966) berichtete hingegen eindringlich über die Ausschreitungen, brennenden Synagogen und verwüsteten jüdischen Geschäfte in Stuttgart. Vermutlich war seine unterstützende Haltung bei der Bearbeitung der Ausreiseanträge bekannt.
Salys Mutter Sofie kannte sicher Carl Lämmle, beide stammten ja aus Laupheim. Carl Lämmle wanderte 1884 nach den USA aus, blieb aber Laupheim immer verbunden und besuchte öfter seine Heimat. Er gilt als Gründer von Hollywood und war ein äußerst erfolgreicher Filmproduzent. Er half mehr als 300 Jüdinnen und Juden mit Bürgschaftserklärungen (Affidavits) bei Ausreiseanträgen und Hilfestellungen bei Einreisen. Enge persönliche Beziehungen zum US-Generalkonsulat sind als sicher anzunehmen.
Deborah Terrill, die Urenkelin, bestätigt diese Unterstützung durch Carl Lämmle auch für Saly Sichel und seine Familie.
Sofie Sichel, Salys Mutter, überlebte die Shoah nicht. Sie wurde am 23. August 1942, mit dem Transport XIII/1, mit Nr. 73, von Stuttgart nach Theresienstadt und am 16. Mai 1944 nach Auschwitz Birkenau deportiert, wo sie ermordet wurde.
Die Familie Sichel in den USA
Saly und Herta Marta Sichel betrieben ein Lebensmittelgeschäft im Osten von Portland, Oregon. Vorher, in den Jahren um 1940, war Saly als Handelsvertreter der Firma „Fuller Brush“ tätig und Herta Marta als Bäckersgehilfin.
Saly Sichel starb am 4. Oktober 1973 in Portland und Herta Marta Sichel am 30. Dezember 1988 in Seattle.
Die Tochter Edith
Sie besuchte die Grant High School in Portland und studierte nach ihrem Abschluss an der Oregon State University. Sie heiratete Fred Terrill am 14. Juni 1953.
Sie bekamen eine gemeinsame Tochter mit Namen Deborah.
Vier Generationen: Deborah Terrill, Edith (Sichel) Terrill, Herta Marta (Horn) Sichel, Seattle/ Washington, 1983, Foto: Deborah Terrill via WikiTree
Später studierte Edith Terrill erneut und erwarb einen Masterabschluss in Sozialarbeit und arbeitete dann in einem Hospiz in Seattle, Washington.
Sie starb am 15. Juni 2010 in Grants Pass, Josephine County, Oregon, USA.
Ihre Tochter Deborah Terrill lebt in den USA.
Text und Recherche
Helmut Baumgartner, Dezember 2025
Quellen
Stadtarchiv München, Datenbankauszug aus Gedenkbuch München Saly Sichel, Auszug vom 4.11.25
Aktenvermerk Stadtarchiv München: Stadtarchiv München, DE-1992-KOM-JV-0163: Schwanthalerstraße 32
Internetquellen
Kennkarte Saly Harry Sichel:
https://stadtarchiv.muenchen.de/scopeQuery/detail.aspx?ID=864421
Jüdisches Leben in Kleinheubach, Internetseite des Markts Kleinheubach:
Edith Raim: Judenhäuser (publiziert am 16.1.2025) in: nsdoku. lexikon, hrsg. Vom NS-Dokumentationszentrum München, unter: https://www.nsdoku.de/lexikon/artikel/judenhaeuser-398
Sophie Sichel, geb. Höchstetter, in: Gedenkbuch Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945:
Passagierliste der SS-Samaria, Familie Sichel:
Bedeutung der Abkürzungen auf Ausreisevisa von 1939 in die USA:
https://www.perplexity.ai/search/dfd6a5b1-bb83-49c8-9bad-538562b2a79c
Genealogische Nachweise:
Aus- und Einwanderungsregister USA:
https://www.ancestry.de/search/categories/immigration_records/?name=Harry+Saly_Sichel&gender=f
US Generalkonsulat Stuttgart:
https://www.stadtlexikon-stuttgart.de/dts/index.html?id=a2a0b47c-8fb9-4043-aed1-c3d1b53a29a9
Jüdisches Leben in Laupheim:
https://de.wikipedia.org/wiki/Jüdische_Gemeinde_Laupheim
https://www.gedenkbuch-laupheim.de/KAPITEL/49%20HOECHSTETTER%20Albert.htm
United States Holocaust Museum, Einwanderung in die Vereinigten Staaten:
Grabstätten von Saly, Herta Marta und Edith Sichel:
https://de.findagrave.com/memorial/213006685/herta-marta-sichel
https://de.findagrave.com/memorial/213006677/harry-saly-sichel#source
https://de.findagrave.com/memorial/259003840/edith_elaine-terrill