Isidor (Moritz) Neuburger
Foto: Stadtarchiv München, DE-1992-KKD-2959, Kennkartendoppel Isidor (Moritz) Neuburger
Geboren am 21. März 1861 in Buchau am Federsee, Kreis Biberach
Gestorben am 23. Juni 1939 in München
Herkunft und Familie
Isidor (Moritz) Neuburger stammte aus einer Großfamilie. Die Familie war jüdischen Glaubens. Seine Eltern, der Kaufmann Wilhelm Neuburger (1816-1884) und Theresia (1826-1905), geborene Kohn (später Kuhn), hatten 18 Kinder, wobei viele bereits im Kindsbett oder Kleinkindalter verstarben. Seine Geschwister waren
Josef, geboren am 16. September 1846 in Buchau, gestorben am 23. Oktober 1846 in Buchau
Sophie, geboren am 5. September 1847 in Buchau, gestorben am 22. September 1847 in Buchau
(Lea) Louise, verheiratete Gutmann, geboren am 27. November 1848 in Buchau, gestorben am 28. Januar 1935
Rafael, geboren am 5. Januar 1850 in Buchau, gestorben am 24. April 1917 in München
Rosa / Rosalie, geboren am 22. März 1851 in Buchau, gestorben am 5. Februar 1919 in Buchau
Clementine, verheiratete Gutmann, geboren am 24. April 1853 in Buchau, gestorben am 30. April 1883
Ernst, geboren am 11. September 1854 in Buchau, gestorben am 8. Februar 1914 in München
Charlotte, verheiratete Wallersteiner, geboren am 8. Dezember 1855 in Buchau, gestorben am 14 September 1902 in Biberach
Ferdinand, geboren am 14. Juli 1857 in Buchau, gestorben am 4. Januar 1867 in Buchau
Julius, geboren am 26. Juli 1858 in Buchen, gestorben am 5. September 1858
Hirsch (Hermann), geboren am 22. Januar 1860, gestorben 1886
Sara, geboren am 14. April 1862 in Buchau, gestorben am 1. Mai 1862 in Buchau
David, geboren am 13. November 1864 in Buchau, gestorben am 9. Dezember 1865 in Buchau
Albert, geboren am 14. November 1865 in Buchau, gestorben am 26. November 1865 in Buchau
Karl, geboren am 7. August 1867 in Buchau, gestorben am 19. August 1867 in Buchau
Iwan, geboren am 23. September 1868 in Buchau, gestorben am 23. September 1868
Friedrich Wilhelm, geboren am 13 August 1870 in Buchau, gestorben im Februar 1919 in London
München
Ein „Engros-Geschäft für Seidenwaaren, Seiden-, Wollen- und Baumwollbänder und andere weiße Waaren Gebrüder Neuburger“ betrieb der Vater Wilhelm Neuburger seit circa 1866, gemeinsam mit seinen älteren Brüdern Joseph und David Neuburger. Ab 1872 führte sein Vater das Geschäft nur noch mit seinem Bruder David. Am 21. Juni 1879 lösten die beiden Brüder das gemeinsame Geschäft auf.
Wilhelm Neuburger übersiedelte im Juni 1878 mit einem Teil der Familie von Buchau nach München. In den historischen Adressbüchern von München findet man ab 1880 die „Wilhelm Neuburger & Söhne Seiden- und Posamentierwaaren“. Zunächst war die Wohnung und die Firma in der Kaufinger Straße 31, 1. Stock. Isidor Neuburgers ältere Brüder, Rafael und Ernst, wurden zu dieser Zeit als Teilhaber genannt. Er selbst lebte zu diesem Zeitpunkt noch nicht in München. Die Geschäfte liefen wohl ordentlich, denn schon bald wurden Geschäft und Wohnung getrennt. Zunächst wohnte die Familie in der Theaterstraße 43/2, aber schon 1882/83 verzog man an den Karlsplatz 5, 2.Stock.
Der Vater, Wilhelm Neuburger, verstarb am 2. April 1884 in München. Inhaber des Unternehmens waren fortan seine Mutter Theresia und seine älteren Brüder Ernst und Rafael.
Kurz nach dem Tod des Vaters, ab dem 7. August 1884, war Isidor Neuburger dann auch in München gemeldet. Warum er erst später nach München kam, ist unklar.
Erst ab 1894 wurde auch er dann in den Münchner Adressbüchern als Teilhaber des Familienunternehmens genannt. Der frisch gebackene Teilhaber heiratete am 18. März 1895 in München Alice, geb. Gutmann (geboren am 25. Oktober 1874 in München).
Knapp ein Jahr später, am 5. Februar 1896, kam der Stammhalter Wilhelm in München zur Welt. Er wurde vermutlich nach dem Großvater benannt. Im gleichen Jahr, am 1. Juli 1896, schied Isidor Neuburgers älterer Bruder Rafael als Inhaber aus; fortan teilte er sich die Geschäftsführung nur noch mit seinem Bruder Ernst.
Münchener Neueste Nachrichten vom 19.3.1895
Münchener Neueste Nachrichten vom 6.2.1896
Um die Jahrhundertwende musste auch der Firmenumzug in die Schwanthalerstraße 32 erfolgt sein.
Quelle: BWA S9 1929
Im Februar 1914 verstarb sein Bruder und Geschäftspartner Ernst Neuburger. Isidor Neuburger wurde damit Alleininhaber der Firma. Der als Inhaber ausgeschiedene Rafael Neuburger war jedoch noch als Prokurist eingetragen.
1914 war auch das Jahr, in dem der 1. Weltkrieg ausbrach. Die Neuburgers mussten um ihren einzigen Sohn bangen. Er hatte sich als Freiwilliger gemeldet und kämpfte in Frankreich. Er wurde unter anderem mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse und dem Militärverdienstorden mit Schwertern III. Klasse ausgezeichnet.
1917 verstarb Rafael Neuburger.
Wilhelm Neuburger überlebte das Grauen des Krieges. Nach Kriegsende trat er in den Familienbetrieb ein.
Zum Jahresbeginn 1919 zogen die Neuburgers dann in die Schubertstraße 4.
Es folgten einige Jahre mit schönen Ereignissen. 1921 wurde die spätere Geschäftsübergabe an den Sohn eingeleitet. Er wurde in diesem Jahr Teilhaber des väterlichen Geschäftes.
1925 lernte der Sohn Wilhelm Neuburger auf einem Ball Irene Gundelfinger kennen und heiratete sie im Juni 1926. Aus der Familienüberlieferung wissen wir, dass er ein liebevoller Gatte und Vater war. Freitags überraschte er seine Frau oft mit Blumen oder einem Buch. Das Paar bekam zwei Töchter: Erica Else, 1927 geboren, und Marion Therese, 1930 geboren.
Der weitere Gang des Lebens schien geregelt. Isidor Neuburger ist vermutlich beruhigt und zufrieden am 15. Dezember 1930 als Gesellschafter der Firma „Wilhelm Neuburger & Söhne“ ausgeschieden und übergab an die nächste Generation.
Im August 1932 nehmen die Neuburgers einen Untermieter auf, Siegfried Gerstle. Er war in etwa in ihrem Alter, alleinstehend und ebenfalls aus der Textilbranche.
Zeit im Nationalsozialismus
Mit der „Machtübergabe“ an die Nationalsozialisten änderte sich das Leben der jüdischen Familie grundlegend.
Bereits im Frühjahr 1933 wurde die Firma Wilhelm Neuburger & Söhne aufgelöst. Als Liquidator wurde der Sohn Wilhelm eingesetzt.
Ende 1936 emigrierten Sohn und Schwiegertochter Irene Neuburger mit ihren Töchtern nach Amsterdam.
Isidor Neuburger war Eigentümer der Häuser Schwanthalerstraße 30 und 32 und des Hauses Senefelder Straße 10a.
Die Auflösung der Firma zog sich bis Februar 1937 hin. Im Reichsanzeiger vom 25. Februar 1937 wurde dann die Löschung der Firma aus dem Handelsregister zum 20. Februar 1937 bekanntgegeben. Wilhelm Neuburger lebte zu diesem Zeitpunkt mit seiner Familie bereits in Amsterdam.
Im März 1937 zogen Isidor und Alice Neuburger von der Theresienwiese nach Schwabing, in die Elisabethstraße 30/I. Ihr Untermieter, Siegfried Gerstle, zog ebenfalls mit um.
Als im Dezember 1938 für die Neuburgers die Kennkarten ausgestellt wurden, musste seine Ehefrau Alice diese für ihn unterschreiben, da er fast erblindet war.
Isidor Neuburger verstarb am 23. Juni 1939 in München.
Das Wohn- und Geschäftshaus in der Schwanthalerstraße 32 stand im Besitz der Familie, konnte aber von der Familie nicht veräußert werden und wurde zu einem sogenannten Judenhaus. In einem Aktenvermerk ist zu lesen:
„Das Anwesen Schwanthalerstraße 32, jüdischer Eigentümer Isidor Neuburger, ist als Wohnhaus zur Belegung mit Juden vorgesehen. Eine Veräußerung oder sonstige Eigentumsübertragung kann daher nicht stattfinden.
München, den 27. Juni 1939
i.A. Der Regierungspräsident“
Im Biografischen Gedenkbuch der Münchner Juden 1933–1945 gibt es 17 Einträge unter dieser Adresse.
Die Witwe, Alice Neuburger, floh im August 1939 nach Amsterdam, wohin der Sohn bereits im Dezember 1936 ausgewandert war. Alice Neuburger wurde am 20. Juli 1943 vom Kamp Westerbork in den Niederlanden nach Sobibor deportiert und dort am 23. Juli 1943 ermordet. Der Sohn Wilhelm wurde am 22. Januar 1945, seine Ehefrau am 28. November 1944 in Bergen-Belsen ermordet. Für Wilhelm und seine Frau Irene Neuburger gibt es in der Innstraße 18 ein Erinnerungszeichen. Die beiden Töchter überlebten die Shoah.
Text und Recherche
Michaela Amimu
Quellen
Stadtarchiv München, EWK zu Isidor Neuburger und Personenmeldebögen zu Ernst und Rafael Neuburger, Signatur DE-1992-PMB-N-22
Stadtarchiv München, DE-1992-KOM-JV-0163.
Stadtarchiv München, Standesamt, Heiratsregister 1895, Standesamt München I, Urkunde 631.
Stadtarchiv München, Standesamt, Sterberegister 1939, Standesamt München I, Urkunde 1923.
Bayerisches Wirtschaftsarchiv München, BWA S9 1929.
Stadtarchiv Amsterdam, Personalkarte A01232 0297 0336 und Fremdenkarte zu Alice Gutmann.
Onlinequellen
Biografisches Gedenkbuch der Münchner Juden 1933–1945, Einträge zu Isidor (Moritz) Neuburger https://gedenkbuch.muenchen.de/index.php?id=gedenkbuch_link&gid=2101, seiner Schwester Louise Gutmann https://gedenkbuch.muenchen.de/index.php?id=gedenkbuch_link&gid=6795
Stadtarchiv München, Kennkartendoppel zu Isidor (Moritz) Neuburger: https://stadtarchiv.muenchen.de/scopeQuery/detail.aspx?ID=863824
https://www2.landesarchiv-bw.de/ofs21/bild_zoom/thumbnails.php?bestand=5632&id=1171730&syssuche=&logik= Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Bestand J 386 Bü 39, 260, Bild 183 Eintrag zu Wilhelm Neuburger
www.digitale-sammlungen.de Adressbücher für München 1880 bis, soweit verfügbar.
https://digipress.digitale-sammlungen.de hier Münchner Neueste Nachrichten vom 4.4.1884, 19.3.1895, 6.2.1896, 5.10.1896, 10.2.1914, 02.05.1917, 13.02.1919, 18.12.1930
www.deutsche-digitale-bibliothek.de hier Riedlinger Zeitung vom 18.4.1866, Leipziger Monatsschrift für Textilindustrie vom 18.2.1914, 18.10.1921, Deutscher Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger vom 7.5.1917, 23.12.1930, 25.2.1937
https://www.ancestry.de/search/collections/1631/records/4328562?tid=&pid=&queryId=fec5cf58-e969-487f-80c9-b3e33426c13e&_phsrc=XGa503&_phstart=successSource und https://www.ancestry.de/search/collections/1631/records/4479746?tid=&pid=&queryId=75a6ebb6-56f4-404c-8d36-67ef20a196a9&_phsrc=XGa510&_phstart=successSource Kriegsstammrollen zu Wilhelm Neuburger.
https://www.erinnerungszeichen.de/biografien/biografie/2100.0--Wilhelm-Neuburger.html Biografie zu Wilhelm Neuburger auf www.erinnerungszeichen.de .