Alice Neuburger, geb. Gutmann

L-R
 

Foto: Stadtarchiv München, DE-1992-KKD-2942-a, Kennkartendoppel von Alice Neuburger

Geboren am 25. Oktober 1874 in München

Ermordet am 23. Juli 1943 in Sobibor

 

Herkunft und Familie

Alice Gutmann war das zweite von fünf Kindern der Eheleute Hirsch Hermann Gutmann, einem Kaufmann in München, und seiner Gattin Louise, geborene Neuburger. Sie wurde am 25. November 1874 in München geboren. Ihre Geschwister waren

  • Klara, verheiratete Bachmann, geboren am 1. Januar 1873 in München,

  • Else, verheiratete Moos, geboren am 26. Januar 1876 in München,

  • Jenny, verheiratete Fellheim, geboren am 4. September 1877 in München und

  • Ida, verheiratete Fraenkel, geboren am 4. Juli 1879 in München.


Heirat

Am 18. März 1895 heiratete Alice Gutmann in München den Kaufmann Isidor Moritz Neuburger. Er stammte ursprünglich aus (Bad) Buchau am Federsee im Landkreis Biberach, wo er am 21. März 1861 geboren wurde. Ihre Mutter Louise war eine Schwester ihres Ehemannes Isidor Neuburger.

Isidor Moritz Neuburger war im Jahr zuvor, 1894, Teilhaber am väterlichen Betrieb, „Wilhelm Neuburger & Söhne, Großhandlung in Seidenwaren, Besatzartikeln und Kurzwaren“ geworden.  

Münchner Neueste Nachrichten vom 19. März 1895

Münchner Neueste Nachrichten vom 6. Februar 1896

Als im Sommer 1914 der 1. Weltkrieg ausbrach, musste Alice Neuburger um das Leben ihres einzigen Kindes bangen. Er hatte sich als Freiwilliger gemeldet und kämpfte in Frankreich. Er überlebte das Grauen des Krieges und trat nach Kriegsende in den Familienbetrieb ein.

Zum Jahresbeginn 1919 zogen die Neuburgers in die Schubertstraße 4.

Im Juni 1926 gab es bei der Familie Neuburger Grund zum Feiern. Sohn Wilhelm heiratete Irene Gundelfinger. Das Fest wurde im Bayerischen Hof gefeiert. Schon 1927 bzw. 1930 durfte sich die Großmutter Alice Neuburger über zwei Enkelinnen freuen. Ihr Mann übergab am 15. Dezember 1930 das Familienunternehmen an den Sohn Wilhelm Neuburger. Inwieweit seine Augenkrankheit, er litt an Grünem Star, hierfür der Grund war, ist nur Spekulation. Das Geschäft war übergeben, die finanzielle Situation wirkte geordnet; Alice und Isidor Neuburger hatten hoffentlich einige gute Jahre bis sich die Situation für jüdische Mitbürger in Deutschland drastisch verschlechterte.

Im August 1932 nahmen die Neuburgers einen Untermieter auf, Siegfried Gerstle. Er war in etwa in ihrem Alter, alleinstehend und ebenfalls aus der Textilbranche. Es ist zwar Spekulation, aber vielleicht war der Untermieter für den (fast) blinden Isidor Neuburger ein adäquater Gesprächspartner, mit dem er über die Textilbranche „fachsimpeln“ konnte.


Zeit im Nationalsozialismus

Mit der „Machtübergabe“ an die Nationalsozialisten änderte sich das Leben der jüdischen Familie grundlegend. Bereits im Frühjahr 1933 wurde die Firma Wilhelm Neuburger & Söhne aufgelöst. Als Liquidator wurde ihr Sohn Wilhelm eingesetzt. Dieser emigrierte jedoch Ende 1936 zusammen mit seiner Frau Irene sowie den beiden Töchtern nach Amsterdam. Alice Neuburger und ihr Mann blieben zurück in München. Über die Gründe dafür können wir nur spekulieren. War es das noch in Abwicklung befindliche Familienunternehmen, war es die Krankheit Isidor Neuburgers, war es der vorhandene Immobilienbesitz oder fühlten sie sich zu alt für einen Neuanfang im Ausland?

Im März 1937 zogen die Neuburgers von der Theresienwiese nach Schwabing, in die Elisabethstraße 30/I. Ihr Untermieter, Siegfried Gerstle, zog ebenfalls mit um.

Im Januar 1939 verstarb Siegfried Gerstle, der Untermieter der Neuburgers. Als auch noch ihr Mann, Isidor Neuburger, am 23. Juni 1939 verstarb, folgte Alice Neuburger im August 1939 ihrem Sohn. Sie lebte mit ihrem Sohn, der Schwiegertochter und den beiden Enkelinnen 1941 im Minervaplein 24/III in Amsterdam.

Alice Neuburger wurde am 20. Juli 1943 vom Kamp Westerbork in den Niederlanden nach Sobibor deportiert und dort am 23. Juli 1943 ermordet.


Erinnerungen der Enkelin

Die Enkelinnen Erica und Marion Neuburger überlebten die Shoa und wurden bei Riesa auf einem Todesmarsch von der Roten Armee befreit. Sie zogen nach Kriegsende zu ihrer Großmutter mütterlicherseits in die Schweiz. Erica Neuburger hat ihre Erinnerungen aufgezeichnet und beschreibt darin ihre Oma Alice Neuburger als charmant und handwerklich begabt. Sie soll eine ausgezeichnete Hausfrau und Gastgeberin gewesen sein. Opa Isidor Neuburger wurde als gutaussehender, sportlicher Mann beschrieben. Die Beiden sollen bis zur Zeit des Nationalsozialismus ein angenehmes Leben geführt haben. 


Schicksal weiterer Familienangehöriger

Isidor (Moritz) Neuburger, der am 23. Juni 1939 in München verstarb, wurde auf dem Alten Jüdischen Friedhof in München, Thalkirchner Straße, beigesetzt.

Der Sohn Wilhelm Neuburger wurde am 22. Januar 1945 in Bergen-Belsen, seine Ehefrau am 28. November 1944 ermordet. Für die Beiden gibt es in der Innstraße 18 in München ein Erinnerungszeichen. Die beiden Töchter überlebten die Shoah.

Alice Neuburgers Mutter, Luise Gutmann, starb am 28. Januar 1935 in München. Ihr Vater war bereits am 3. August 1921 gestorben.

Die Schwester Klara Gutmann heiratete 1891 Alfred Neuburger. Aus dieser Ehe gab es einen gemeinsamen Sohn, Rudolf Walther, der später Walter Newburger hieß. 1899 heiratete sie Salo(mon) Bachmann. Aus dieser Ehe stammten die Kinder Fritz Max und Anna Caecilie. 1908 ging sie ihre dritte Ehe mit Heinrich (später Henry) Friediger ein. In dieser Ehe wurde der Sohn Jaques Albert geboren.

Die Schwester Else Gutmann war verheiratet mit dem aus Buchau stammenden Dr. med. Oskar Moos. Sie lebten nach der Heirat in Heilbronn und emigrierten im Februar 1939 nach Scheveningen, Niederlande. Sie wurden im Januar 1944 von Westerbork nach Theresienstadt deportiert. Beide überlebten die Shoah.

Die Schwester Jenny Gutmann heiratete im Jahr 1900 Nathan Felheim. Ihr Mann verstarb 1922 in Nürnberg. Er wurde nur 55 Jahre. Über den Verbleib von Jenny Felheim konnten wir nichts herausfinden. 

Die Schwester Ida Gutmann, die 1903 den Bankier Louis (Ludwig) Fränkel geheiratet hatte, wurde am 20. November 1941 von München aus nach Kaunas deportiert und dort nur wenige Tage später, am 25. November 1941, ermordet.


Text und Recherche

  • Michaela Amimu

Quellen

  • Irene Shilling-Wyler, Zürich Schweiz nach den Aufzeichnungen ihrer Tante Erica Guggenheim-Neuburger.

  • Stadtarchiv Amsterdam, Personalkarte A012333332 0297 0336 und Fremdkarte zu Alice Gutmann.

  • Stadtarchiv München, EWK Einwohnermeldekartei zu Isidor Neuburger.

  • Stadtarchiv München, DE-1992-STANM-01387, Urkunde 738 zu Jenny Gutmann.

Onlinequellen

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Isidor (Moritz) Neuburger