Richard Sicher

S-Z
 

Richard Sicher, Foto: Stadtarchiv München, Kennkartendoppel 1939

Geboren am 9. Januar 1881 in München

Deportiert am 20. November 1941 nach Kaunas

Ermordet am 25. November 1941 in Kaunas

 
 

Familienherkunft

Der Kaufmann David Sicher (1841-1902) aus München und seine Frau Emilie Sicher, geb. Bloch (1852-1903), hatten elf Kinder: Olga (1872), Rudolf (1874), Max (1875), Else (1877), Oskar (1879), Richard (1881), Fritz (1882), Otto Hugo (1884), Klara (1885), Louise Ida (1889) und Ernst (1891). Über die Schicksale der Geschwister werden am Ende der Biographie von Richard Sicher weitere Informationen gegeben.

Ausbildung

Richard Sicher kam nach Vollendung der Volksschule in ein Ledergeschäft in die Lehre. Er lebte bis zu seinem 18. Lebensjahr bei seinen Eltern in der Klenzestraße 71/II. Dann arbeitete er in der Ledergroßhandlung Bacharach & Waitzfelder in Augsburg. Seine Arbeit wurde sehr gelobt und er begann nun auch seine Reisetätigkeit. Schließlich lernte er das Dekorieren von Auslagen und erhielt eine feste Anstellung als Dekorateur in einem französischen Warenhaus in Lausanne. Anschließend war er Wanderdekorateur in Nürnberg.

Am 23. März 1913 meldete sich Richard Sicher in der Rumfordstraße 21A in München zurück, wo er „...jedoch für einen Ausländer gehalten wurde und infolge seines künstlerischen Lockenbaus vielfach in der Spionenfurcht angerempelt wurde.“, wie sein Bruder Rudolf Sicher in seinem Tagebuch schrieb.

Im Krieg diente er bei den Luftstreitkräften, aber nicht als Pilot. Nach dem Krieg ging er wieder zu seinem alten Beruf als Lederhändler zurück und verkaufte alles was mit Leder zu tun hatte: Schuhe, Schäfte und Lohe.

Hochzeit und das Scheitern der Ehe

Am 16. Juni 1926 heirateten Richard Sicher und Irene Weisel, in Trebitsch, Mähren (Třebíč, Tschechien). Seine Frau wurde am 3. Juli 1896 in Trebitsch geboren. Am 21. Februar 1928 kam ihr Sohn Harry Heinz in München zur Welt. Zuvor hatten sie schon Hoffnung auf Nachwuchs, aber das erste Kind starb bereits bei der Geburt am 10. März 1927.

Über diese Zeit schrieb sein Bruder: „Er hatte mit seinen Firmen viel Glück, seine Kundschaft hing an ihm und er hätte eine gute Zukunft gehabt. Da heiratete er aber eine Frau, die nicht zu ihm passte. Sie war geistig nicht ganz normal, hatte die Platzkrankheit und konnte nicht allein sein. Die beiden heirateten sich ohne dass die Eltern etwas wussten.“

Richard Sicher konnte wegen der Krankheit seiner Frau nicht mehr vom Hause fort und auch seine Reisetätigkeit war nicht mehr möglich. Die Folge war, dass sein Geschäft darnieder ging und er zum Schluss seine Familie nicht mehr ernähren konnte.

Die Ehe wurde am 22. September 1932 geschieden. Das Ehepaar hatte seit 25. November 1929 in einer Wohnung des größten Bauherrn in München, der Wohnungsbaugesellschaft GEWOFAG (heute Münchner Wohnen), in der Perlacher Straße 51/I gelebt. Nach der Trennung lebte Richard Sicher allein in der Wohnung. Seine Frau ist mit dem gemeinsamen Sohn zurück in ihren Geburtsort Trebitsch gezogen. Am 29. März 1934 zog Richard Sicher in das Ledigenheim in der Bergmannstraße 35 und am 6. März 1936 in die Hans-Sachs-Straße 1/I.

Das Ledigenheim im Jahr 2025, Bergmannstraße 35, Foto: privat

Richard Sichers beruflicher Werdegang

Richard Sicher war als Kaufmann tätig. So führte er unter anderem von 1921 bis 1931 eine Agentur für Leder- und Gerbereiartikel. Bei der Gewerbeanmeldung gab er bei seiner Konfession an: frei religiös. Richard Sicher betrieb seit 25. Mai 1936 einen Großhandel mit technischen Artikeln und Webstoffen sowie eine Provisionsvertretung für einen Gummiwarenverarbeitungsbetrieb in der Liebherrstraße 19/II, wo er ab 15. Januar 1937 auch wohnte. Dieses Gewerbe wurde am 31. März 1939 für den 6. März 1939 abgemeldet. Am 20. April 1940 bezog er seine letzte frei gewählte Wohnung in München, in der Colosseumstraße 1.


Deportation nach Kaunas

Am 20. November 1941 deportierte die Gestapo Richard Sicher, mit der Transportnummer 195, von München nach Kaunas. Im Zug saßen weitere 996 Menschen, darunter sein Bruder Ernst und dessen Frau Else Erna Sicher, geb. Pories. In Kaunas erschossen SS-Männer des Einsatzkommandos 3 der Einsatzgruppe A am 25. November 1941 alle Verschleppten.


Ein Erinnerungszeichen in München

Für Richard Sicher wurde am 23. Juli 2024 in der Perlacher Straße 51 ein Erinnerungszeichen angebracht.

Foto: privat

Foto: privat


Das Schicksal seiner Ehefrau Irene Sicher und seines Sohnes Harry

Irene Sicher und der gemeinsame Sohn Harry lebten nach der Trennung in ihrem Geburtsort Trebitsch, Mähren (Třebíč, Tschechien). Beide wurden mit Transport Aw (Nr. 478 und 479) am 22. Mai 1942 von Třebíč nach Theresienstadt deportiert. Nur drei Tage später, am 25. Mai, wurden sie mit Transport Az (Nummer 659 und 660) von Theresienstadt nach Lublin deportiert und dort ermordet.


Die Geschwister von Richard Sicher

Olga Schliesser, geborene Sicher

Olga Sicher kam am 2. November 1872 in Klattau, Böhmen (heute: Klatovy, Tschechien) zur Welt. Ihr Ehemann Rudolf Schliesser wurde am 25. Februar 1859 in Neubistritz (heute Nová Bystřice, Tschechien) geboren. Die Heirat fand im Januar 1896 in München statt. Sie hatten drei Kinder, die alle in Pilsen (heute Plzen, Tschechien) geboren wurden:

  • Der Sohn Leopold Schliesser wurde am 24. Dezember 1896 geboren. Er starb im November 1984 in Wandsworth, Greater London, England.

  • Die erste Tochter Elsa / Else Margarethe Bandler, geborene Schliesser kam am 3. September 1899 zur Welt. Sie heiratete den am 5. oder 15. Mai 1904 in Pilsen geborenen Paul Bandler. Ihre gemeinsamen Kinder waren Gertrud, geboren am 11. Juli 1933 in Prag, und Sigmund Bandler.

  • Die zweite Tochter Gertrud Johanna Schliesser wurde am 10. April 1903 in Pilsen geboren.

Rudolf Schliesser starb im Jahre 1921. Olga Schliesser konnte mit ihrem Schwiegersohn und Tochter Else 1939 nach Triest in Italien auswandern.

Rudolf Sicher

Rudolf Sicher wurde am 24. März 1874 in Hartmannitz, Bezirk Klattau, geboren. Er hatte sich im Februar 1939 nach Prien abgemeldet, emigrierte nach Frankreich und überlebte die Shoah. Er starb 1955.

Max Sicher

Max Sicher wurde am 31. Oktober 1875 in München geboren. Er war Ingenieur und lebte bis 1906 in München. Er starb vermutlich im Januar 1939.

Oskar Sicher

Oskar Sicher wurde am 22. April 1879 in München geboren. Näheres ist nicht bekannt.

Fritz Sicher

Foto: Fritz Sicher, Kennkartendoppel 1939 DE-1992-KKD-3610, Stadtarchiv München

Foto: Recha Sicher, Kennkartendoppel Stadtarchiv Bruchsal

Fritz Sicher wurde am 12. Juli 1882 München geboren. Er lebte bis 1909 in München. Am 23. August 1920 heiratete er in Bruchsal die am 18. Februar 1888 in Malsch, Kreis Wiesloch, geborene Recha Hess. Die Tochter Emmy kam am 7. Juni 1921 und der Sohn Ernst Joachim am 9. März 1924 in Bruchsal zur Welt. Ernst Joachim Sicher konnte 1939 mit einem Kindertransport nach England entkommen und wanderte später nach Israel aus. Am 22. Oktober 1940 wurden Recha und Fritz Sicher von der Bismarckstraße 18 in Bruchsal aus in das Internierungslager Gurs, Frankreich, deportiert (Nummer 174 und 175). Die Tochter Emmy arbeitete als Schneiderin in der Kaiserstraße 167 in Karlsruhe und wurde am gleichen Tag wie ihre Eltern nach Gurs verschleppt. Fritz Sicher starb aufgrund der katastrophalen Zustände im Lager am 7. April 1941 im Krankenhaus in Pau, Frankreich.

Emmy Sicher und ihre Mutter Recha wurden am 10. August 1942 von Drancy nach Auschwitz deportiert und ermordet.

Mehr Informationen zu diesem Teil der Familie kann der Gedenkschrift zur ersten Stolpersteinverlegung 2015 in Bruchsal entnommen werden.

Otto Hugo, Klara und Louise Ida Sicher

Die Geschwister Else (1877), Otto Hugo (1884), Klara (1885) und Louise Ida Sicher (1889) starben in ihrem ersten Lebensjahr.

Ernst Sicher

Foto: Ernst Sicher, Kennkartendoppel DE-1992-KKD-3609, Stadtarchiv München

Foto: Else Sicher, Kennkartendoppel DE-1992-KKD-3608, Stadtarchiv München

Ernst Sicher wurde am 23. Januar 1891 in München geboren. Er besuchte die Realschule bis zur 4. Klasse. Von 1914 bis 1918 nahm er am Ersten Weltkrieg teil. An seinem 28. Geburtstag, am 23. Januar 1919, heiratete er in München Else Pories, geboren am 23. April 1890 in Wien, Österreich.

Zu geschäftlichen Zwecken hielt er sich häufig im Ausland auf. In Teilhaberschaft mit Moritz Schwarzschild betrieb er die Fa. Ernst Sicher & Co., einen Großhandel mit elektrotechnischen Bedarfsartikeln, der auch Beleuchtungskörper herstellte. 1930 wurde die Firma abgemeldet. Ab 12. Januar 1931 betrieb Ernst Sicher eine Provisionsvertretung in Beleuchtungskörpern und Beschlägen sowie, seit 4. Januar 1935, einen Großhandel mit elektrischen Artikeln in der Auenstraße 86/III. Diese Gewerbe wurden am 27. Dezember 1938 abgemeldet.

Er wurde gemeinsam mit seinem Bruder Richard und seiner Ehefrau am 20. November 1941 nach Kaunas deportiert und ermordet.


Text und Recherche

  • Klaus-Peter Münch

Quellen

  • Sicher, Rudolf: Familiengeschichte Sicher und Brader, Abstammung, Nachkommen und Verwandte, Mai 1944, Privatbesitz der Familie Sicher

  • Stadtarchiv München, Polizeimeldebogen Richard Sicher, DE-1992-PMB-S-423-Sicher-Richard.

Internetquellen

 
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