Ehrenhain I auf dem Münchner Friedhof am Perlacher Forst

 

Am 1. September 2021 wurde die neue, unter der Leitung des Historikers Dr. Jascha März gestaltete Gedenkstätte Ehrenhain I eingeweiht. Die insgesamt 3.996 dort bestatteten NS-Opfer stammen aus Deutschland und 16 weiteren Ländern. Über 3.000 von diesen waren Häftlinge des KZ Dachau, einschließlich der Gefangenen, die der Tötungsanstalt Hartheim überstellt wurden. Die weiteren starben in anderen Konzentrationslagern oder Tötungsanstalten. Die im KZ Dachau infolge der Haftbedingungen Verstorbenen oder Ermordeten waren Juden, Sinti und Roma, Zeugen Jehovas, Homosexuelle, sogenannte „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“. Oder sie waren wegen ihres politischen Widerstandes inhaftiert, als Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter. Unter den Opfern finden sich auch katholische Geistliche.

Stiftungsdirektor Karl Freller ging in seiner Ansprache auf fünf Schicksale ein, stellvertretend für die fast 4.000 Ermordeten: Valentin Geis, der einer im Untergrund tätigen KPD-Gruppe in Unterfranken angehörte, starb 1941 im KZ Dachau. Der jüdische Widerstandskämpfer Hermann Gottschalk aus Leipzig wurde wegen Vorbereitung zum Hochverrat verurteilt; er starb 1937 im KZ Dachau. Der gebürtige Ungar Eisik Davidovic lebte in Prag. Weil er Jude war, kam er ins KZ. 1941 starb er während eines Rücktransports ins KZ Dachau. Josef Konrad Schleich wurde nach den Vorstellungen des NS-Regimes als „unwertes Leben“ angesehen. Schleich gehört zu mehreren Hundert im Friedhof Perlacher Forst bestatteten Menschen, die in NS-Tötungsanstalten ermordet wurden. Als sechsjähriges Kind wurde er in der Gaskammer der Tötungsanstalt Hartheim ermordet. Zu den fünf erwähnten Schicksalen gehört auch Johann Desch, ein Zeuge Jehovas aus Maurach am Achensee, den, wie Karl Freller berichtete, „die Nazis im August 1940 verhungern ließen, weil er sich geweigert hatte, in den Krieg ziehen."

„Friedhöfe und Grabstätten der NS-Opfer sind zentrale Orte der Erinnerungskultur. Es ist unsere Aufgabe, sie nicht allein zu bewahren, sondern auch für die kommenden Generationen sichtbarer zu machen.“

(Karl Freller, Direktor der Stiftung Bayerischer Gedenkstätten und Vizepräsident des Bayerischen Landtags anlässlich der Einweihung der Gedenkstätte Ehrenhain I)


Johann Desch, geboren am 29. Juli 1897 in Mariatal bei Kramsach, lebte in Maurach am Achensee. Beide Orte liegen in Tirol, Österreich. Im Januar 1939 wurde er zur Musterung einberufen, verweigerte aber seine Unterschrift unter den Wehrpass. Deshalb wurde er am 23. Januar 1939 verhaftet und zwei Monate später in das KZ Dachau deportiert, wo er auf seinen ein Jahr jüngeren Bruder Franz Desch traf, der den Wehrdienst im Vorjahr verweigert hatte. Die Gebrüder Desch wurden im September 1939 mit anderen Häftlingen in das KZ Mauthausen überstellt, wo man ihnen die Freilassung in Aussicht stellte, wenn sie die NS-Regierung anerkennen, im Kriegsfall Deutschland mit der Waffe verteidigen und ihre Betätigung für die Bibelforscher, wie sich die Zeugen Jehovas bis 1931 nannten, beenden würden. Johann und Franz Desch lehnten das ab. Wegen seines geschwächten Zustandes wurde Johann Desch später wieder nach Dachau verlegt, wo er am 25. August 1940 an den Folgen von Unterernährung starb. Sein Bruder überlebte.

Ausschnitt aus einer der insgesamt zwölf Glastafeln, auf denen die Namen der 3.972 identifizierten Opfer festgehalten sind

 

Bis August 2021 wies nur dieser unscheinbare Gedenkstein auf den dahinter liegenden Ehrenplatz hin, wo keine weiteren Informationen zu finden waren

(Hintergrund der Abweichung der Opferzahl: ursprüngliche Doppelangaben und weil auf Wunsch von Verwandten Graburnen umgebettet wurden)


Der Tag der Einweihung der neuen Gedenkstätte wurde bewusst gewählt: Am 1. September 2021 jährte sich der deutsche Überfall auf Polen, mit dem der Zweite Weltkrieg begann, zum 82. Mal. Mehr als die Hälfte der am Ehrenhain I Bestatteten waren polnische Bürger. Die neu gestaltete Gedenkstätte ist ein Gemeinschaftsprojekt der Stiftung Bayerischer Gedenkstätten, dem polnischen Generalkonsulat München und der Stiftung Polnisch-Deutsche Aussöhnung, das mit Unterstützung der Landeshauptstadt München und dem Denkmalschutz verwirklicht werden konnte.

Hinweistafeln am Eingang der Gedenkstätte informieren über die historischen Hintergründe der Anlage

"Wir erhoffen uns, dass in Zusammenarbeit auch mit den einschlägigen Einrichtungen der Stadt München, dass dieser Ort zukünftig bei Rundgängen, bei Führungen, bei Gedenkveranstaltungen ein zentraler Ort werden kann, dass er im Ensemble der erinnerungskulturellen Orte der Stadt München mit aufgenommen wird. Die Bedeutung dieses Ortes ist zweifellos gegeben."

(Dr. Jascha März, Stiftung Bayerischer Gedenkstätten, wissenschaftlicher Leiter des Projektes)


Ein Besuch der Gedenkstätte Ehrenhain I, die sich in die bedeutenden Orte der zentralen Gedenkkultur einreiht, ist sehr zu empfehlen. Die Gedenkstätte an der Stadelheimer Straße 24 kann täglich von 8 bis 18 Uhr besucht werden. Die Stiftung Bayerischer Gedenkstätten wurde 2003 vom Freistaat Bayern gegründet, um die Gedenkstätten als Zeugen der Verbrechen des Nationalsozialismus und als Lernorte zu erhalten, damit das Wissen über das historische Geschehen wachgehalten und weitergegeben werden kann. Die Gedenkstätte Ehrenhain I dient diesem Zweck.


Es gibt auch eine Filmdokumentation über den Ehrenhain mit einem Interview von Herrn Dr. Jascha März:

https://www.youtube.com/watch?v=RSRdVh6HFN0

In elf Minuten vermittelt der Film einen Einblick in die Münchner KZ-Gedenkstätte Ehrenhain I. Sie ist die drittgrößte KZ-Gedenkstätte Bayerns. Hier wurden fast 4.000 NS-Opfer aus 17 verschiedenen Nationen bestattet, die nahezu allen Opfergruppen angehören.

 

Fotos:
Guido Hassel (Abbildung 2), Christoph Wilker (Abbildung 1 und 3 bis 5)

Quellen:
(1) Gespräch mit Dr. Jascha März, 10.11.2021.
(2) https://www.stiftung-bayerische-gedenkstaetten.de/service/presse/neu-gestalteter-ehrenhain-soeben-mit-feierlichem-gedenkakt-eingeweiht, abgerufen am 4.1.2022.
(3) Zu Johann Desch: Horst Schreiber, Gedächtnislandschaft Tirol - Zeichen der Erinnerung an Widerstand, Verfolgung und Befreiung 1938-1945, Innsbruck 2019 und https://www.eduard-wallnoefer-platz.at/biografie/Johann+Desch/21, abgerufen am 17.9.2021.

Christoph Wilker

 
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