Martin Kraus
Geboren am 15. Juli 1891 in Eglsee in der Gemeinde Burgkirchen an der Alz
Gestorben am 18. Mai 1967 in München
Familiengründung und Trennung
Foto: Bergmannstraße 1 im Jahre 2023, privat
Martin Kraus wurde am 15. Juli 1891 in Eglsee in der Gemeinde Burgkirchen an der Alz geboren. Er war der Sohn des Ehepaares Maria Hinterwinkler und Martin Kraus. Sein Vater war von Beruf Schreiner. Martin Kraus war in erster Ehe mit Anna Rauch verheiratet. Das Paar hatte drei gemeinsame Kinder. Er nahm als Soldat am Ersten Weltkrieg teil und kämpfte unter anderem in Arras, Verdun und an der Somme. Während des ersten Weltkriegs lebte die Familie Kraus in der Apianstraße und später in der Herzogstraße. Im Jahr 1929 ließen sich Anna Rauch und Martin Kraus scheiden. Im Jahr 1932 zog Martin Kraus ins Westend in die Bergmannstraße 1.
Entlassung beim Städtischen Tiefbauamt
Zur Zeit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im Februar 1933 war Martin Kraus im Städtischen Tiefbauamt in München angestellt. Im September des gleichen Jahres wurde er mittels des von den Nationalsozialisten neugeschaffenen Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums aus dem städtischen Dienst entlassen. Grund für seine Entlassung war seine langjährige USPD-Mitgliedschaft und politische Meinungsäußerungen am Arbeitsplatz. Wahrscheinlich war Martin Kraus im Jahr 1917 der neugegründeten Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) beigetreten und bis zu ihrer Auflösung im Jahr 1931 Mitglied. Danach schloss er sich, nach eigenen Angaben, keiner politischen Partei mehr an, weil ihm die SPD „zu flau” und die KPD „zu radikal” war.
Laut Zeugenaussagen soll Martin Kraus sich selbst als Kommunist bezeichnet und am Arbeitsplatz wiederholt die nationalsozialistische Regierung kritisiert haben. Unter anderem wurde ihm vorgeworfen, seinem Arbeitskollegen, der die Verfügung der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation (NSBO) verlas, zugerufen haben, dass er mit dem „Schmarrn“ aufhören soll. Zudem soll er gesagt haben, dass Hitler nichts tue, sondern nur Kämpfe mache. Einem vorbeilaufenden SA-Mann habe er „Heil Moskau“ zugerufen.
Wiedereinstellung im städtischen Dienst
Im Januar 1934 reichte Martin Kraus Beschwerde gegen die Entlassung ein. Das Ministerium des Innern der Regierung von Oberbayern wies diese Beschwerde zurück mit der Begründung: „Durch seine kommunistische Gesinnung und seine gehässige Gegnerschaft gegen die NSDAP sowie durch die Beschimpfung ihrer Führer hat sich Kraus national unzuverlässig im Sinne des § 4 Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums erwiesen.“
Erst nach Abgabe einer Loyalitätserklärung wurde Martin Kraus im Januar 1935 wieder im städtischen Dienst eingestellt. Im Jahr 1938 wurde er vom Arbeiter zum Rottenführer befördert. Von 1934 bis 1945 war Martin Kraus Mitglied der Deutschen Arbeitsfront (DAF), dem NS-Einheitsverband deutscher Arbeiter. Von 1944 bis 1945 war er zudem für ein Jahr Betriebsobmann. Er war außerdem von 1937 bis 1945 Mitglied der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV).
Entscheidung im Spruchkammerverfahren
Diese Mitgliedschaften in NS-Organisationen führten nach 1945 zu seiner „formellen Belastung” und folglich zu einem Spruchkammerverfahren. Martin Kraus argumentierte in diesem Verfahren, dass er die Mitgliedschaften und vor allem die einjährige Rolle des Betriebobmanns in der Endphase des Krieges nur notgedrungen übernommen hatte, weil er Repressalien durch seine Vorgesetzten befürchtete. Er gab an, dass er Angst hatte, in die Wehrmacht eingezogen zu werden. Aufgrund seiner kurzzeitigen Entlassung vom städtischen Dienst von 1933 bis 1935 galt er zudem unter seinen Arbeitskollegen als Gegner des Nationalsozialismus. Nach seiner Wiedereinstellung wurde er nach eigenen Angaben am Arbeitsplatz beobachtet, ob er sich staatsfeindlich betätigen würde.
Als Betriebsobmann betreute er vor allem seine Arbeitskollegen, gab Bekanntmachungen weiter und verkaufte KdF-Hefte („Kraft durch Freude” war die Freizeitorganisation der Deutschen Arbeitsfront). Die Aufgaben kannte er bereits, da er 1919-1925 Betriebsratsmitglied gewesen war. Während seiner Zeit als Betriebsobmann will Martin Kraus wiederholt anti-nazistische Propaganda unter den Arbeitskollegen wahrgenommen haben. Diese Propaganda habe er mit nationalsozialistischen Aussagen erwidert. Martin Kraus gab an, dass diese NS-Sympathie allerdings nur vorgespielt war, um seine Arbeitskollegen und sich selbst zu schützen. Gesinnungsmäßig neigte er mittlerweile der SPD zu.
Martin Kraus wurde schließlich als Mitläufer eingestuft. Dennoch war eine Wiedereinstellung im städtischen Dienst nicht möglich, da die Stadtverwaltung auf eine strenge Entnazifizierung Wert legte. „Mitläufer“ war bei der sogenannten Entnazifizierung die vierte von fünf Kategorien, in welche die Betroffenen im Spruchkammerverfahren eingeteilt wurden.
Antrag auf Entschädigung
Mitte der 1950er Jahre stellte Martin Kraus einen Antrag auf Entschädigung für die Jahre der Entlassung aufgrund seiner politischen Überzeugung. Zu diesem Zeitpunkt war Martin Kraus Anfang 60 Jahre alt, im Ruhestand und lebte mit seiner dritten Ehefrau im Süden Münchens. Anfang der 1960er Jahre zog Martin Kraus den Antrag auf Entschädigung aus nicht weiter erläuterten Gründen zurück. Er verstarb am 18. Mai 1967 in München.
Sein Schicksal steht exemplarisch für die Verfolgung vieler städtischer Beamter ab 1933, die aus politischen Gründen ihren Arbeitsplatz verloren. Die Biografie von Martin Kraus findet Erwähnung in Ingelore Pilwouseks Buchprojekt „Verfolgung und Widerstand: Das Schicksal Münchner Sozialdemokraten in der NS-Zeit“ (2012) und auf dieser Publikation aufbauend, im „Online-Gedenkbuch der Sozialdemokratie 1933-1945“ der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Bergmannstraße
In der Bergmannstraße gibt es noch mehr Biografien zum entdecken: Hans Heinrich und Margarete Bihrle, Benny Brader oder Richard Sicher.
Text und Recherche
S.Z.
Quellen und Literatur
Bayerisches Landesentschädigungsamt, BayHStA LEA 21383.
Benz, Wolfgang: Demokratisierung durch Entnazifizierung und Erziehung. Bundeszentrale für Politische Bildung. Aufgerufen am 15. Juni 2025.
Pilwousek, Ingelore (Hrsg.): Verfolgung und Widerstand: Das Schicksal Münchner Sozialdemokraten in der NS-Zeit. Volk Verlag, 2012.
Korrespondenz mit Stadtarchiv München, E-Mail vom 07.08.2025.
Kriegsranglisten und -stammrollen des Königreichs Bayern, 1. Weltkrieg 1914-1918.
Meldekarte zu Anna und Martin Kraus, Stadtarchiv München, DE-1992-EWK65-G551.
Portal zur Geschichte der Sozialdemokratie: Online-Gedenkbuch der Sozialdemokratie 1933-1945. Friedrich-Ebert-Stiftung. Aufgerufen am 15. Juni 2025. https://www.geschichte-der-sozialdemokratie.de/gedenkbuch/details/?tx_igonlinegedenkbuch_onlinegedenkbuch%5Bperson%5D=414&cHash=fac6ef044f71fafa7ad0b3098f91c97b
Staatsarchiv München, Spruchkammern Karton 953/Kraus Martin.
Sterbeeintrag 1162/1967/C/München III, Stadtarchiv München, DE-1992-STANM-4058.
Wiederherstellung des Berufsbeamtentums Stadt München G-L, 1933. Akten des Staatsministeriums des Innern, BayHStA MInn.