Marie Bernheim, geb. Nathan
Marie Bernheim, ca. 1940. (Foto: privat Michael Bernheim)
Geboren am 27. Juli 1873 in Ulm
Deportiert am 4. Juni 1942 in das Konzentrationslager Theresienstadt
Ermordet am 14. Januar 1944 in Theresienstadt
Geburt in Ulm
Marie/Maria Bernheim wurde am 27. Juli 1873 als zweites von drei Kindern des Kaufmanns Alexander Nathan und seiner Ehefrau Henriette (geb. Samson) in Ulm geboren. Das Ehepaar hatte, außer der Tochter Marie, noch zwei Söhne, die in Ulm zur Welt kamen.
Das Leben in Augsburg
Marie Bernheim in einem Ballkleid, ca. 1900. Foto: privat Michael Bernheim
Marie Bernheim, 1917. Foto: privat Michael Bernheim
Am 28. Mai 1896 heiratete Marie Nathan im Ulmer Rathaus den Fabrikanten Siegfried Shimon Bernheim, der am 14. März 1866 in Ulm geboren wurde. Sie lebten zunächst in Ulm an der Promenade 6 (1873) und am Münsterplatz 33 (1876-1896) bevor sie 40 Jahre lang in Augsburg unter anderem in der Schaezlerstraße 13 oder 17/II lebten. Wirtschaftlich ging es ihnen gut und sie bekamen drei Söhne: Kurt, geboren am 3. Juni 1897, Willy, geboren am 1. Juni 1900 und Heinz, geboren am 1. November 1903.
Marie Bernheim galt laut der Nürnberger Gesetze von 1935 als „Volljüdin", da alle ihre Großeltern jüdisch waren.
Der letzte freiwillige Wohnort des Ehepaars war in der Frölichstraße 10 ½ in Augsburg, wo sie im zweiten Stock in einer großen, komfortablen Wohnung lebten. Der Sohn Willy beschreibt sein Elternhaus folgendermaßen: „Ich sah die Ehe zwischen einer weichen, sensiblen Frau, der ich wohl mein geistiges und charakterliches Erbe verdanke, und einem braven unkomplizierten Vater. Wir lebten immer in geräumigen, bürgerlichen Wohnungen. Der finanzielle Hintergrund war eine kleine Fabrik, gegründet von meinem Großvater… Wären wir drei Buben nicht zwangsweise in die Synagoge zu gehen veranlasst worden, bei uns zuhause hätten wir keinerlei Eindrücke des Judentums empfangen.“ (siehe unten, „Was tue ich eigentlich …, S. 14)
„Umzug“ nach München
Um der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu entgehen, zogen die Familie 1935 nach München. Am 15. Juni 1935 kam das Ehepaar in der Pension in der Goethestraße 54 unter. Am 7. April 1937 zogen sie in die Giselastraße 18, einen Tag später verstarb Siegfried Bernheim an einem tödlichen Herzschlag. Er ist in Augsburg begraben.
Marie Bernheims Leben als Witwe
Ab dem 30. Juni 1939 wohnte Marie Bernheim in der Fraunhoferstraße 27/I bei Emma Hausner. Die Witwe war Besitzerin des Hauses und hatte schon einigen jüdischen Frauen eine Unterkunft geboten. Marie Bernheim plante jetzt ihre Flucht aus Deutschland, so schrieb ihr Sohn Willy: „Ich setzte mich mit meinem Bruder, der in Zürich blieb, in Verbindung und wir planten mit meinem Onkel, der inzwischen in Amerika sesshaft wurde um mit dessen finanzieller Hilfe meine Mutter aus dieser Hölle ins freie Ausland bringen zu können.“ (Willy Bernheim, Was tue ich…, Seite 35) Die Bemühungen verliefen positiv: „Die Korrespondenz mit meinem Bruder klärte mich darüber auf, dass die Versuche, auch meine Mutter aus Deutschland herauszubringen, günstig fortschreiten und dass sie sich nun langsam vorbereitete, um entweder über Cuba nach Amerika oder in die Schweiz auszuwandern.“ (Willy Bernheim, Seite 67) Leider erfüllten sich die Hoffnungen auf eine Auswanderung nicht.
Marie Bernheim Kennkartendoppel 1938/1939, Stadtarchiv München. Dieses Foto muss beinahe zeitgleich mit dem Foto am Anfang gemacht worden sein. Sie trägt die gleichen Ohrringe und das gleiche Halsband. Sogar die Kopfhaltung ist identisch. Aber welch ein Unterschied zwischen privatem und Polizei-Bild.
Der Transport nach Theresienstadt
So schrieb Willy Bernheim: „Inzwischen hörte ich nun auch von meinem Bruder, dass meine Mutter, wie alle Juden der Stadt, verhaftet worden sei, dass sie in einer zugigen Güterhalle des Bahnhofareals, wo sie Tag und Nacht auf den Abtransport warten musste, erkrankt, und in ein Krankenhaus verbracht worden sei. Die Übrigen seien nach dem Osten abtransportiert worden. 4 Monate später folgte ihnen meine Mutter nach.“ ( Willy Bernheim, Seite 70)
Am 2. Dezember 1941 wurden Emma Hausner und Marie Bernheim in die „Judensiedlung Milbertshofen" gebracht, ein Barackenlager in der Knorrstraße 148 in München-Milbertshofen. Das Lager diente der „Ghettoisierung" der jüdischen Bevölkerung Münchens und war ab Ende 1941 Sammelstelle für die beginnenden Deportationen.
Marie Bernheim (Transportnr. 53) wurde 69jährig am 4. Juni 1942 mit dem zweiten Münchner Transport (II/2) nach Theresienstadt deportiert. Von den insgesamt 50 Personen dieser Deportation überlebte keine die Shoah. Über eineinhalb Jahre überlebte Marie Bernheim Hunger und Seuchen, bis sie am 14. Januar 1944 aufgrund der Lebensbedingungen im Konzentrationslager starb.
Die Familie Nathan
Das Grab auf dem Augsburger Friedhof, Foto: privat
Der Kaufmann Alexander Nathan betrieb einen Tabakwarenladen in Ulm. Er wurde am 22. Oktober 1842 in Laupheim geboren. Seine Ehefrau Henriette/Jette (geb. Samson) geboren am 3. Juli 1851 in Baiersdorf, Kr. Erlangen, heiratete er am 2. April 1871 in München. Im Juli 1910 zog die Familie nach Augsburg, wo Alexander Nathan 74jährig am 11. Mai 1917 starb. Die Witwe Jette Nathan zog am 15. Mai 1933 wieder nach Ulm und am 15. Dezember 1935 von dort nach München in die Goethestraße 54. Sie starb am 12. April 1936 und wurde auf dem Friedhof in Augsburg im Grab ihres Mannes beerdigt. Das Ehepaar hatte, außer der Tochter Marie, noch zwei Söhne, die in Ulm zur Welt kamen: Rudolf, geboren am 17. Mai 1872 und Hermann, geboren am 8. April 1875. Rudolf Nathan heiratete am 4. April 1897 in Augsburg die am 25. Dezember 1874 in Ulm geborene Lina Bernheim. Sie war die junge Schwester von Siegfried Bernheim.
Die Kinder von Marie und Siegfried Bernheim
Der älteste Sohn Kurt hatte 1921 die Kölnerin Karolina Wallerstein geheiratet. Ihr Sohn Wolfgang Bernheim wurde am 7. Mai 1923 in Augsburg geboren. 1926 wurde die Ehe geschieden und Kurt Bernheim heiratete im gleichen Jahr die nichtjüdische Augsburgerin Anna Lehninger. Am 23. Mai 1928 meldete Kurt Bernheim sich und seinen Sohn Wolfgang von der Israelitischen Kultusgemeinde ab und ließ am gleichen Tag seinen fünfjährigen Sohn in der Pfarrei Herz-Jesu in Augsburg-Pfersee taufen. Er selbst ließ sich 1930 katholisch taufen und kirchlich trauen. Im Juli 1937 zog Kurt Bernheim mit seiner zweiten Frau Anna nach München. Kurt Bernheim floh 1938 nach Zürich, wo er am 14. November 1960 63jährig starb. Der Sohn Wolfgang wurde im Oktober/November 1942 im Arbeitslager Sakrau (Zakrzów) ermordet.
Willy Bernheim heiratete die am 19. Juni 1903 in Augsburg geborene nichtjüdische Gisela Maria Büttner. Die Trauung fand kirchlich statt da Willy Bernheim sich vorher taufen ließ. Am 22. März 1923 wurde der Sohn Erhard in Augsburg geboren und am 1. Juni 1931 sein Bruder Willy. Die Ehe wurde nach 16 Jahren im September 1938 geschieden. Er heiratete später die am 14. November 1903 in Augsburg geborene Stefanie Kindler. Am 28. November 1938 floh Willy Bernheim nach Zürich. Von dort aus fuhr er am 27. Februar 1939 nach Paris. Er meldete sich zur Fremdenlegion und beteiligte sich nach vielen Irrwegen als Soldat an der Befreiung Deutschlands. Schließlich nahm er an der Siegesparade der Franzosen in Paris teil. Willy und Stefanie Bernheim starben am 6. März 1959 in München.
Heinz Bernheim wanderte nach Argentinien aus, er erreichte Buenos Aires am 2. Juli 1925 an Bord der Crefeld. Heinz Bernheim verstarb am 29. Dezember 1926 in Buenos Aires.
Erinnerung an Marie Bernheim
Grabstein auf dem Friedhof in Augsburg, Foto, privat
An Marie Bernheim wird auf dem jüdischen Friedhof an der Haunstetter Straße in Augsburg auf dem Grabstein ihres Mannes, ihres Sohnes Willy und dessen Frau gedacht. Es befindet sich in Sektion N 35, Grab 1.
Erinnerungsband vor dem Wohnhaus Frölichstr. 10 ½
Am 18. Mai 2018 wurde in Augsburg ein Erinnerungsband für Marie Bernheim vor der Frölichstraße 10 ½ angebracht.
Text und Recherche
Text: Museum Villa Stuck, überarbeitet von Klaus-Peter Münch
Archive
Haus der Stadtgeschichte - Stadtarchiv Ulm, StA Ulm Familienregister, Band A1, Blätter 102 u 104.
Stadtarchiv München, Kennkartendoppel DE-1992-KKD-028.
Internet
Biografisches Gedenkbuch der Münchner Juden 1933–1945: https://gedenkbuch.muenchen.de/index.php?id=gedenkbuch_link&gid=793.
Das Online-Gedenkbuch der ErinnerungsWerkstatt Augsburg: https://gedenkbuch-augsburg.de/biografien/maria-bernheim-geb-nathan.
Stadtarchiv Saarbrücken: https://gedenkbuch.saarbruecken.de/gedenkbuch/personen_detailseite/person-20095.
https://www.geni.com/people/Marie-Maria-Bernheim/6000000015120166938.
Literatur
Bergmann, Ingo (Hg.): Und erinnere dich immer an mich. Gedenkbuch für die Ulmer Opfer des Holocaust, Ulm 2009
Römer, Gernot: Schwäbische Juden. Leben und Leistungen aus zwei Jahrhunderten in Selbstzeugnissen, Berichten und Bildern, Augsburg 1990
Bernheim, Erhard und Römer, Gernot (Hrsg.): »Halbjude« im Dritten Reich. Die Erinnerungen des Augsburger Fabrikanten Erhard Bernheim, Augsburg 2000
Bernheim, Willy; aus dem Nachlass kritisch herausgegeben von Michael Bernheim, Michael Friedrichs, Klaus Wolf: Was tue ich eigentlich in Meknes? Ein Augsburger Jude als französischer Soldat im Zweiten Weltkrieg, Augsburg 2023
Murr, Karl Borromäus: "Eines der ersten jüdischen Opfer des Nationalsozialismus"? Der Fall Bernheim in Augsburg, in: Fassl, Peter (Hg.): Ausplünderung der Juden in Schwaben während des Nationalsozialismus und der Kampf um Entschädigung, Konstanz 2020