Heinz Eschen

 

Foto: Kriminalbiologische Sammelstelle (April 1933), Bayerisches Hauptstaatsarchiv. II-5051.14-143/1/2

 

Geboren am 3. Mai 1909 in Filehne

Inhaftiert am 26. November 1933 im Konzentrationslager Dachau

Ermordet am 31. Januar 1938 im Konzentrationslager Dachau

 
 

Bewegte Kindheit und Jugend

Heinz Eschen wurde am 3. Mai 1909 in Filehne, dem heutigen Wieleń in Polen, in der preußischen Provinz Posen geboren. Er war das jüngste Kind des Ehepaares Isidor Eschen (1875-1914) aus Filehne und Bianka Lewin (1880-1942) aus Samter (pol. Szamotuły). Neben Heinz hatten die beiden noch zwei weitere Kinder, Hildegard (1906-1972) und Norbert (1907), der bereits als Kleinkind starb.

Der Vater Isidor Eschen war gelernter Bäcker und betrieb in Filehne, das um 1910 weniger als 5.000 Einwohner hatte, eine Gaststätte. Mutter Bianka Eschen kümmerte sich um den Haushalt und die Erziehung der Kinder. Beide entstammten bürgerlichen, jüdischen Familien, die seit Generationen in der Region Posen lebten.

Als Heinz Eschen fünf Jahre alt war, starb sein Vater überraschend am 28. Juli 1914 an „Herzschwäche“ in einem örtlichen Krankenhaus. Am gleichen Tag brach der erste Weltkrieg aus. Es begann eine schwierige Zeit für Bianka Eschen, die plötzlich allein für ihre noch minderjährigen Kinder sorgen musste. Trotz aller Nöte war ihr die Bildung ihrer Kinder ein großes Anliegen.

Heinz Eschen besuchte zwei Jahre die Filehner Volksschule und wechselte dann an das Pädagogium Ostrau, eine Eliteschule für Knaben. Nach nur zwei Jahren musste er allerdings seine Schullaufbahn unterbrechen, denn mit Ende des Krieges sah sich die deutsche Bevölkerung in Filehne dazu gezwungen, den Ort zu verlassen. Im Zuge des Versailler Vertrags wurde Filehne entlang des Flusses Netze zweigeteilt. Ab Anfang 1920 gehörte nur noch der nördliche, dünn besiedelte Teil des Ortes zu Deutschland, während der südliche Teil von nun an polnisch war.

1920 zog Bianka Eschen schließlich mit ihren Kindern nach Berlin. Dort angekommen, wurde Heinz Eschen in die Königstädtische Oberrealschule in der Dunckerstraße 65/66 eingeschult (heute Käthe-Kollwitz-Gymnasium). Heinz Eschen war ein guter Schüler, fiel allerdings durch viele „Jungenstreiche“ auf. Seine erweiterte Familie aus Posen, so zum Beispiel seine Großeltern Elkan und Paula Lewin (geb. Falk), lebten mittlerweile auch in Berlin.

Seine Mutter hatte durch die Hyperinflation der 1920er Jahre ihre gesamten Ersparnisse verloren. Ab 1921 arbeitete sie in einer Seifenhandlung in Berlin. Später wurde sie von ihrer Tochter Hildegard Eschen, die als Direktions-Sekretärin beim Theater am Nollendorfplatz (heute als Metropol bekannt) arbeitete, finanziell unterstützt.


Einschub: Wer war Heinz Eschen?

Ein Vertreter der Königstädtischen Oberrealschule vermerkte, dass Heinz Eschen 1922 die Schule ohne Versetzung verließ, „da er nach außerhalb geht“. Wie sich sein Leben ab diesem Zeitpunkt bis zu seiner Festnahme 1933 entwickelte, ist nicht eindeutig zu sagen.

Zwischen seinen eigenen Aussagen gegenüber der Polizei, seiner Gefängnisakte und Meldekarteien finden sich einige Widersprüchlichkeiten. Heinz Eschen war sich des Risikos seines politischen Aktivismus wohl bewusst und passte seine Lebensgeschichte seinem Kontext entsprechend an. Versuchte er damit sich und andere Personen zu schützen?

Im erzwungenen Gesinnungsaufsatz für seine Gefangenenakte zeigte sich ein anderer Heinz Eschen als in den Zeitzeugenberichten seiner Mithäftlinge. Welche Lebensgeschichte nun die „richtige“ ist, ist kaum zu ergründen. Aufgrund von Kriegseinwirkungen, z.B. verlorene Studentenkarteien, können viele Details nicht nachgeprüft werden. Zudem sind Zeitzeugenberichte als historische Quellen nicht unumstritten und auch schriftliche Dokumente der NS-Bürokratie müssen mit Vorsicht betrachtet werden.

In ihrer Ganzheit spiegelt die Biografie mit ihren Widersprüchlichkeiten die gesellschaftlichen Zustände der Zeit wider. Es wird die Lebensrealität einer Generation junger Menschen sichtbar, die nach sozialem Aufstieg, Zugehörigkeit und Sinnhaftigkeit strebte und sich dabei aber mit zunehmender Instabilität und Prekarität konfrontiert sah.


Studium und Politisierung

Nach eigenen Aussagen lebte Heinz Eschen bis zu seinem 18. Lebensjahr zusammen mit seiner Mutter und seiner Schwester in der Elbingerstraße 19 in Berlin, die heute Teil der Danzigerstraße ist. Anders als vom Direktor der Schule vermerkt, gab Heinz Eschen zu Protokoll, dass er die Königsstädter Oberrealschule sieben Jahre besuchte und in Berlin das Abitur ablegte.

Seine Mutter wollte unbedingt, dass ihr Sohn studiert und so begann Heinz Eschen ein Maschinenbaustudium an der Technischen Hochschule in Berlin. Vielleicht war dies der Wunsch der Mutter, denn Heinz Eschen zog eigentlich die Landwirtschaft vor. Nach zwei Semestern wechselte er an die Technische Hochschule in München. Insgesamt studierte Heinz Eschen vier Semester Maschinenbau in Berlin und München.

Während des Studiums kam Heinz Eschen verstärkt mit den politischen Strömungen der Zeit in Berührung. Die Vorlesungssäle deutscher Universitäten wurden Mitte der 1920er Jahren immer mehr zu Schauplätzen politischer Auseinandersetzungen. In diesem Kontext politisierte sich Heinz Eschen zunehmend. Hinzu kam die allgemeine wirtschaftliche Lage in Deutschland: „das Massenelend und die Massenarbeitslosigkeit haben auf mich tiefsten Eindruck gemacht“, schrieb er einige Jahre später. Schließlich trat er auf Anraten seiner Kommilitonen in die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) ein.

Nach zwei Semestern in München war aber erst einmal Schluss. Heinz Eschen musste die Hochschule verlassen. Ihm fehlten die finanziellen Mittel, um sein Studium fortzuführen und sein politischer Aktivismus soll ihm außerdem an der Hochschule keine Freunde gemacht haben.

Anschließend zog es ihn in die Landwirtschaft. Laut Polizeibericht begann er eine Lehre in Oldenburg. Folgt man allerdings den Schilderungen von Heinz Eschen, dann siedelte er nach Abbruch seines Studiums nach Hessen um, genauer nach Nieder Kainsbach, ein Dorf südlich von Frankfurt am Main, das 1930 um die 350 Einwohner hatte. Als Volontär in der Landwirtschaft arbeitete er zwei Jahre auf einem Gut der Familie Götz. Diese Stelle gab er jedoch vorübergehend auf, um in München ein Stipendium zu erlangen. Dieses Mal wollte er Landwirtschaft an der Technischen Hochschule in München studieren.


Im Erfurt der Weimarer Republik

Heinz Eschen als ehemaliger Student und Landwirtschaftslehrling: das ist eine stimmige Geschichte, die ihn als qualifizierten, gebildeten jungen Mann mit einem Zukunftsplan charakterisiert. So beschrieb er seinen Werdegang bei seiner Festnahme 1933. Tatsächlich war sein Leben aber deutlich instabiler, was jedoch nicht untypisch war für die Zeit.

Im Juli 1928 meldete Heinz Eschen seinen Wohnort in Erfurt an. Dort arbeitete er als kaufmännischer Angestellter bzw. Reisender, was so viel heißt wie „Vertreter eines Betriebs“. Er lebte zur Untermiete in der Stadt und bewohnte ein Zimmer nie länger als ein paar Monate. Ende 1929 zog er für ein Jahr zurück nach Berlin, womöglich lebte er bei seiner Mutter in der Elbingerstraße 19. Im Januar 1931 zog es ihn wieder nach Erfurt.

Seine Meldekartei ist gespickt von An- und Abmeldungen, Reisen außerhalb Erfurts und kurzen Aufenthalten in Berlin. War er als reisender Vertreter eines Betriebs unterwegs? Oder war Heinz Eschen vielleicht zwecks eines Studiums bzw. einer landwirtschaftlichen Ausbildung oft auswärts und in Erfurt nur behördlich gemeldet? Oder waren es wiederum seine Aufgaben innerhalb der KPD bzw. deren Jugendorganisation (KJVD), die ihn auf Reisen durch Deutschland schickten?

Fest steht, dass Heinz Eschen zwischen 1928 und 1931 in Erfurt, Magdeburg, Halberstadt, Jena und Köln hauptsächlich wegen Betrugs und Urkundenfälschung insgesamt acht Mal verurteilt wurde. Die Strafen reichten von kleinen Geldbeträgen bis zu einigen Tagen und Wochen Gefängnisaufenthalt, die er wahrscheinlich nie antrat. Sein einziger belegter Gefängnisaufenthalt während dieser Zeit dauerte nur wenige Tage. Er verbrachte diese im Gerichtsgefängnis in Erfurt im August 1931, während er auf sein Urteil wartete.

Im Gegensatz zu seinem restlichen Strafregister, war diese Tat erstmals politischer Natur. Zusammen mit zwölf anderen wurde er im August 1931 während einer KPD-Demonstration anlässlich des Welterwerbslosensonntags festgenommen. Während der Demonstration sollen Mitglieder der Gruppe zu Gewalt gegenüber einem Polizeibeamten aufgerufen haben. Heinz Eschen wurde zu fünf Wochen Gefängnisstrafe verurteilt.

Er verließ Erfurt wenig später und meldete sich nach Stuttgart ab. Vielleicht wollte er so dem drohenden Gefängnisaufenthalt entgehen. Zum Haftantritt kam es wahrscheinlich nie. Laut den überlieferten Akten wurde ihm die Strafe gemäß dem Gesetz über die Straffreiheit vom 20. Dezember 1932, auch bekannt als Schleicher-Amnestie, erlassen.

Als Heinz Eschen Erfurt im Herbst 1931 verließ, war er erst 22 Jahre alt und doch hatte er schon viel erlebt. Im Erfurt der Weimarer Republik fand er eine einflussreiche Arbeiterbewegung vor, die Politiker und spätere Widerstandskämpfer wie Willi Münzberg und Paul Schäfer hervorbrachte. Diese Umgebung muss nachhaltig auf ihn und seinen politischen Aktivismus gewirkt hat.


Umzug nach München

Nach einem kurzen Aufenthalt in Stuttgart, war Heinz Eschen ab November 1931 in München gemeldet. Wie auch in Erfurt, wohnte er zur Untermiete, wechselte oft seine Adresse und arbeitete als kaufmännischer Angestellter. Zeitweise war er als Dekorateur im Kaufhaus von Hermann Tietz am Hauptbahnhof (später Hertie, dann Karstadt) angestellt. Finanziell unterstützt wurde er außerdem von der KPD, denn er engagierte sich immer mehr im Kommunistischen Jugend Verband Deutschlands (KJVD), der Jugendorganisation der Partei. Außerdem schrieb er Artikel für Parteizeitschriften.

Dorothea Ettmayr, deren Schwester Berta eng mit Heinz Eschen befreundet war, berichtete in den 1990er Jahren, dass er bei ihnen zuhause mit Essen versorgt wurde, weil er selbst ein „armer Student“ war. Ob er zu dieser Zeit tatsächlich an der Technischen

Heinz Eschen mit Freunden und Freundinnen während der Sonnwendfeier des KJVD am Hackensee nahe Holzkirchen. Links von ihm Marille Ettmayr, rechts von ihm Berta Ettmayr. Am linken Bildrand ist Franz Scheider zu sehen. Bildentstehung 1931, in: AdMAB, 23.1.4 Fotosammlung, Mappe KJVD, Nr. 1.

Hochschule studierte, sich um ein Stipendium bemühte oder nur im Münchner Studentenmilieu gut vernetzt war, ist nicht belegt.

Jedenfalls entwickelte er sich zu einer Art Führungsperson innerhalb des KJVD und im Widerstand gegen die NS-Studentenbewegung an der Universität. Er soll Anführer einer Roten Studentengruppe (RSG) oder des Roten Studentenbundes in München gewesen sein. Diese Gruppierungen hatten sich an mehreren deutschen Hochschulen gebildet, um sich dem erstarkenden Nationalsozialismus an den Universitäten entgegenzustellen. Es existieren kaum Quellen zur RSG, ihren Mitgliedern oder ihrer Vorgehensweise.

Heinz Eschen scheute die Konfrontation mit den Nationalsozialisten nicht und war immer öfter an gewalttätigen Auseinandersetzungen beteiligt, zum Beispiel bei Saalschlachten mit dem Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NSDStB). In diesem Kontext soll er auch mit dem SA-Mann Hans Aumeier, späterer Leiter mehrerer Konzentrationslager, in eine Schlägerei verwickelt gewesen sein.

In vielen Zeitzeugenberichten sticht - neben seinem Hang zu handfesten Auseinandersetzungen - ein weiteres Merkmal hervor: Heinz Eschen war ein begabter Sänger. Er war Mitglied in mehreren Gesangsvereinen und wusste es, seine Bassstimme auch als politischer Redner einzusetzen. Zudem war er sehr sportlich und aufgeschlossen: „Er strotzte nur so vor Energie und begeisterte alle mit seiner Fröhlichkeit“, erzählte Dorothea Ettmayr.

Durch die Arbeit im KJVD knüpfte er in der Arbeiterbewegung Münchens und Bayerns viele Kontakte. So verband ihn eine Freundschaft mit dem späteren Widerstandskämpfer Franz Scheider. Dieser war ebenfalls im KJVD sowie in der „Kampfgemeinschaft für Rote Sport-Einheit“ aktiv. Zusammen koordinierten sie Protestaktionen in München. Scheider wurde 1944 hingerichtet. Andere Weggefährten aus dieser Zeit traf Heinz Eschen später im Konzentrationslager Dachau wieder.

Desto stärker er sich in die Parteiarbeit vertiefte, umso mehr entfernte er sich von seiner Familie. Teilweise brach der Kontakt zur Mutter und Schwester in Berlin komplett ab. Die beinahe apolitische Familie Eschen bzw. Lewin konnte wenig mit seinem Aktivismus anfangen. In seiner Familie war Heinz Eschen als vorbestrafter Kommunist, der sich durch Gelegenheitsjobs über Wasser hielt, ein Einzelfall.


Wahlkampf in der Nachbarschaft

Im Frühling 1932, wenige Monate nach seinem Umzug nach München, wurde er abermals festgenommen. Am 22. April beobachteten die Polizeiwachtmeister Immerfall und Feder um viertel nach zwei Uhr morgens Heinz Eschen dabei wie er zusammen mit dem Münchner Schriftsteller Manfred Cammerer an den Eingang des Wehramtsgebäudes in der Winzererstraße (heute Stadtarchiv) in roter Ölfarbe die Worte „Wählt Liste 6“ malte. Dies bezog sich auf die Liste der KPD bei den Landtagswahlen am 24. April 1932.

Da der Eigentümer des Hauses die Stadt München war, stellte der Stadtrat einen Strafantrag wegen Sachbeschädigung. Die Ölfarbe sei in das Mauerwerk des Gebäudes eingedrungen und eine Beseitigung sei schwierig sowie mit hohen Kosten verbunden. Zudem hatten die beiden das Verbot des Anbringens von Werbeaufschriften politischen Inhalts übertreten. Im Verfahren nahm Heinz Eschen

Das ehemalige Wehramtsgebäude in der Winzererstraße. Heute befindet sich in dem Gebäude das Stadtarchiv München. Bild: Susana Zickert

Die untere Hälfte der Steinfassade, da wo sich der Schriftzug befand, erscheint aufgehellt. An der Fassade kann man Überreste einer roten Farbe erkennen. Bild: Susana Zickert

die gesamte Schuld auf sich und versuchte den noch nicht vorbestraften Manfred Cammerer zu entlasten. Dieser sei nur danebengestanden und habe mit der Aktion nichts zu tun. Die Polizeiwachtmeister gaben jedoch zu Protokoll, dass sie Manfred Cammerer mit einem Pinsel in der Hand gesehen hätten. Damit war es für den Richter erwiesen, dass beide an der Tat beteiligt waren.

Manfred Cammerer wurde zu zehn Tagen und Heinz Eschen, der Hauptschuldige, zu fünfzehn Tagen Gefängnisstrafe verurteilt. Strafmindernd berücksichtigt wurde, dass beide im „Wahleifer“ handelten. Heinz Eschen legte gegen das Urteil Berufung ein, allerdings erschien er zur anberaumten Verhandlung im August 1932 nicht. Wieder einmal war er verreist und ließ sich schriftlich „aus Übersee“ entschuldigen. Wie auch in Erfurt, wurde ihm laut den überlieferten Akten die Strafe gemäß der Schleicher-Amnestie letztendlich erlassen.

Heinz Eschen und Manfred Cammerer kannten sich aus der gemeinsamen Parteiarbeit. Der vier Jahre ältere Manfred Cammerer trat während seines Studiums in München der KPD bei und wurde schließlich Pressebeauftragter für den Stadtteil München Nord. Nach der Machtübernahme am 30. Januar 1933 floh er aus Deutschland und wurde Agent des tschechoslowakischen Nachrichtendienstes. Er wurde 1942 im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee hingerichtet.


Letzter Wohnort

München Nord beziehungsweise „Neu Moskau“ war ab Sommer 1932 der neue und letzte Wohnort von Heinz Eschen in München. Er lebte zur Untermiete bei dem Werkzeugschleifer Heinrich Schmidt in der Deidesheimer Straße 2. Nach einigen Monaten zog er in seine eigene Wohnung in den ersten Stock der Saarstraße 12. Im KZ Dachau erzählte er Kameraden, dass er dort mit einer Freundin zusammenwohnte.

Die „Gemeinnützige Baugenossenschaft der Kriegsbeschädigten und Kriegsteilnehmer“ heute. Die letzte Wohnadresse von Heinz Eschen in der Saarstraße 12. Im Innenhof des Wohnblocks hielt er im Februar 1933 eine Kundgebung ab. Bilder: Susana Zickert

 

Beide Wohnadressen befanden sich im Wohnkomplex „Gemeinnützige Baugenossenschaft der Kriegsbeschädigten und Kriegsteilnehmer“ (heute Baugenossenschaft München Oberwiesenfeld). Dieser Wohnkomplex wurde nach dem ersten Weltkrieg von SPD und USPD-Mitgliedern gegründet und trug deshalb den Spitznamen „Neu Moskau“. Heinz Eschen lebte hier inmitten des politischen Arbeitermilieu Schwabings.


Festnahme in Schwabing

Als am 30. Januar 1933 Adolf Hitler durch den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt wurde, war Heinz Eschen 23 Jahre alt. Er lebte zu dem Zeitpunkt seit eineinhalb Jahren in München und war fest verankert in den KPD-Strukturen der Stadt und besonders in Schwabing, wo er in unmittelbarer Nähe zu seinen Freunden und Parteigenossinnen wohnte.

Er hatte den Aufstieg der Nationalsozialisten in München aus nächster Nähe miterlebt und versucht, sich diesem aktiv entgegenzustellen. Obwohl die deutschen Kommunisten früh die Gefahr erkannten, die von der NSDAP ausging, unterschätzten sie dennoch, wie schnell und brutal die Nationalsozialisten ihr Terrorregime etablieren konnten. Die KPD glaubte zunächst, die NSDAP durch Propaganda in Form von Flugblättern, Kleinzeitungen und Demonstrationen besiegen zu können.

Ein Tag nach der Machtübernahme, am 1. Februar 1933, nahm er an einer solchen Demonstration der KPD in Schwabing teil. Es hatte sich eine Gruppe von rund 50 Demonstrierenden versammelt, darunter auch Dorothea Ettmayr und Johann Nützel. Der gebürtige Regensburger war Schauspieler und Geschäftsleiter der Münchner Internationalen Arbeiterhilfe (IAH). Die Gestapo beschrieb Johann Nützel in ihren Akten als „besonders ruhigen KPD-Funktionär“. Johann Nützel wurde während der Nazizeit mehrmals in Schutzhaft genommen, überlebte jedoch und konnte Jahre später von der schicksalsträchtigen Demonstration am 1. Februar 1933 in Schwabing berichten.

Ursprünglich sollte diese vor dem BMW-Werk im Norden Münchens stattfinden, mit dem Ziel, Flugblätter zu verteilen und die dortigen Arbeiter zu mobilisieren. Als dies nicht möglich war, entschied sich die Gruppe, von der Winzererstraße aus, über die Clemensstraße in Richtung Innenstadt zu marschieren. Zu Beginn gab es eine kleine Kundgebung im Innenhof der Wohnsiedlung Oberwiesenfeld, bei der Heinz Eschen einer der Hauptredner war.

Was dann geschah, ist – wie so oft – nicht ganz eindeutig. Laut Polizeibericht wurden die Demonstrierenden beim Einbiegen in die Clemensstraße vom Polizeiwachtmeister Josef Weinzierl dazu aufgefordert die Versammlung aufzulösen, was diese ignorierten. Weinzierl verständigte daraufhin die Polizeidirektion und eilte der Gruppe hinterher. Vor der Gaststätte Luitpoldpark (Clemensstraße 97) kam der Zug zum Stehen.

Weinzierl kündigte in diesem Moment Heinz Eschen die vorläufige Festnahme an, denn er sei augenscheinlich der Anführer der Gruppe. Daraufhin schlugen die Demonstrierenden auf den Polizeiwachtmeister ein. Heinz Eschen und Johann Nützel sollen sie angefeuert haben. Weinzierl konnte sich schließlich befreien, doch als er sah, dass sich die Gruppe wieder auf ihn stürzen wollte,

Die Schussverletzung von Heinz Eschen fand Erwähnung auf der Titelseite der „Neuen Zeitung“ der KPD am 2. Februar 1933.

schoss er zwei Mal in die Menge. Dabei traf er Heinz Eschen. Dann nahm Weinzierl hinter einem Zaun Deckung und hielt bis zum Eintreffen seiner Kollegen die Gruppe in Schach.

So stand es in der Anklageschrift vom März 1933. In den 1970er Jahren beschrieb Nützel einen etwas anderen Tathergang. So war Weinzierl keineswegs allein, sondern begleitet von einem SA-Mann in Zivil. Außerdem sollte zunächst Fritz Beer, Organisationsleiter der KPD München Nord, festgenommen werden und nicht Heinz Eschen. Beer entzog sich der Festnahme, indem er davonlief. Als es dann zum Handgemenge kam, schoss Weinzierl in die Gruppe. 

Die Kugel traf Heinz Eschen im Nacken und drang links an seiner Wirbelsäule vorbei in die Mundhöhle ein, wo sie im Gaumen stecken blieb. Daraufhin versuchte Johann Nützel dem Polizeiwachtmeister die Waffe zu entwenden, was ihm nicht gelang. Mittlerweile waren weitere SA-Männer aufgetaucht, was einen Widerstand gegen die Festnahme nutzlos machte. Johann Nützel kam in Untersuchungshaft und Heinz Eschen ins Schwabinger Krankenhaus. Dorothea Ettmayr erinnerte sich später daran, wie die aufgebrachte Menge „Arbeitermörder“ skandierte.


Die letzten Tage in Freiheit

Die gewalttätige Auseinandersetzung am helllichten Tag in Schwabing wurde tags darauf in den Münchner Tageszeitungen am 2. Februar 1933 aufgegriffen: Die Münchner Post schrieb von einem „Blutigen Zusammenstoß“ bei dem einem Polizisten die Nase eingeschlagen worden war. In den Münchner Neusten Nachrichten war von „Kommunistischen Ausschreitungen“ die Rede.

Auch die Neue Zeitung der KPD, die wenige Wochen später verboten wurde, erwähnte den Vorfall: „Arbeiter von hinten niedergeschossen“ stand auf der Titelseite. Auch wenn die Berichterstattung sicherlich ideologisch gefärbt war, wurde ein Umstand besonders deutlich: Als Weinzierl schoss, stand Heinz Eschen mit dem Rücken zu ihm und kann ihn unmöglich in diesem Moment angegriffen haben. Laut der Neuen Zeitung sei damit erwiesen, dass Weinzierl nicht in Notwehr gehandelt hatte.

Heinz Eschen verbrachte die nächsten Tage im Schwabinger Krankenhaus, wo er von Freunden und Freudinnen besucht wurde. Er hatte Glück im Unglück gehabt, denn die Verletzung hinterließ, außer einer Narbe im Nacken, keine bleibenden Spuren. Er muss sich schnell erholt haben, denn am 12. Februar, nur 11 Tage später, trat er zusammen mit dem bekannten bayrischen KPD-Funktionär Hans Beimler bei einer der letzten kommunistischen Kundgebungen in München, im Zirkus Krone, als Redner auf. In Uniform des Kampfbundes gegen den Faschismus erklärte Heinz Eschen im Namen der revolutionären Studierenden, dass diese sich dem Kampf gegen den Nationalsozialismus anschließen. „Er war ein ausgezeichneter Redner“, erinnerten sich die Kameraden Adolf Maislinger und Hans Kaltenbacher, die dabei gewesen waren.

Das war sein letzter öffentlicher Auftritt, denn am 18. oder 23. Februar erließ das Amtsgericht Haftbefehl und beantragte die Untersuchungshaft „wegen Verdunkelungsgefahr“. Nützel war bereits seit dem 1. Februar in Untersuchungshaft, doch Heinz Eschen war noch auf freiem Fuß. Wo er sich während seiner Untersuchungshaft genau befand, wissen wir nicht. Zumindest zeitweise war er im Gefängnis der Polizeidirektion München in der Ettstraße untergebracht. Johann Nützel berichtete, dass die Nationalsozialisten immer wieder kleine Häftlingsgruppen auf einem Laster von einem Gefängnis in ein anderes brachten, bevor es wenig später wieder woanders hin ging. Für die Familien der Häftlinge war es unmöglich, ihre Angehörigen zu finden.

Weil der von der Roten Hilfe für den Prozess gestellte Anwalt, Kahn, selbst in Schutzhaft genommen wurde, mussten Johann Nützel und Heinz Eschen ihre Gerichtsverhandlung am 11. März ohne Anwalt bestreiten. In der Anklageschrift wurde Heinz Eschen erstmals als ehemaliger Medizinstudent bezeichnet. Handelte es sich hierbei um einen Transkriptionsfehler (Medizin = med. / Maschinenbau = mab.)? Oder machte Heinz Eschen absichtlich eine Falschaussage, weil er sich dadurch einen Vorteil erhoffte?

Heinz Eschen, der mittlerweile ein erfahrener Redner war, habe sich vor Gericht gut verteidigt, so Johann Nützel. Der Richter wollte kulant sein, doch der Polizist und der SA-Mann stellten sich dagegen. So kam es, dass Johann Nützel zu sechs Monaten und Heinz Eschen zu neun Monaten Haft wegen „Aufruhr“ verurteilt wurden. Warum wurde Heinz Eschen, der im Gegensatz zu Johann Nützel nur ein einfaches KPD-Mitglied war, zu einer höheren Haftstrafe verurteilt? Für Johann Nützel war dies ganz klar, „weil er Jude war“.


Von Bayreuth nach Dachau

Johann Nützel musste seine Strafe in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim absitzen, Heinz Eschen dagegen im berüchtigten Gefängnis St. Georgen in Bayreuth. In diesem Gefängnis sperrten die Nationalsozialisten nach und nach immer mehr Kommunisten ein. Bei seiner Aufnahme in Bayreuth wurde von Heinz Eschen eine Gefangenenakte erstellt. Diese Akte war Teil der vom Münchner Arzt Theodor Vierstein (1878-1949) errichteten Kriminalbiologischen Sammelstelle, in der die Daten sämtlicher bayerischer Häftlinge erfasst und ausgewertet wurden. Vierstein wollte mit seiner Forschung eine angebliche erbliche „Rassen-, Rechts- und Kulturschädlichkeit“ aufdecken.

Heinz Eschen wurde befragt, beobachtet und vermessen. Zum Beispiel betrug der Horizontalumfang seines Kopfes 56,5 cm und seine Unterkieferwinkelbreite lag bei 12,6 cm. Diese und andere Daten nutzte der Anstaltsarzt, um eine abschließende „Diagnose“ zu stellen. Er notierte: „ein haltloser und moralisch minderwertiger Psychopath“, „arbeitsscheu“ und „Besserungsfähigkeit: kaum zu erwarten“. Es ist davon auszugehen, dass sein Jüdischsein keine unerhebliche Rolle bei dieser Charakterisierung spielte.

Als Kommunist und Jude war er besonders verhasst bei den Nationalsozialisten. Entsprechend verlief seine Aufnahme im Gefängnis in Bayreuth. Zu Beginn wurde er derart brutal von den Wärtern zusammengeschlagen, dass er mehrere Tage zwischen Leben und Tod schwebte. Als Folge der Gewalt durch das Gefängnispersonal verlor er den Großteil seiner Zähne.

Die politischen Häftlinge in Bayreuth sollten ideologisch (um)erzogen werden. Zu diesem Zweck mussten sie im wöchentlichen Schulunterricht auch den Völkischen Beobachter und Hitlers Reden studieren. Sein ehemaliger Mithäftling in Bayreuth, Bertl Lörcher, berichtete, dass Heinz Eschen sich oft freiwillig zum Vorlesen meldete. Er war eben ein begeisterter Redner. Das tat er so gut und in authentischer Manier, dass der alte Lehrer dabei nicht merkte, dass Heinz Eschen sich insgeheim über die Nationalsozialisten und den Reichskanzler lustig machte.

Am 11. November 1933 hatte Heinz Eschen seine Strafe offiziell abgesessen. Doch statt freigelassen zu werden, wurde er nach ein paar Nächten in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim in „Schutzhaft“ genommen und ohne Prozess in das Konzentrationslager in Dachau gebracht. Lediglich der Vermerk „Vorsicht kommunistischer Jude!“ im Gefangenenbuch der Polizeidirektion München, machte deutlich, warum die Nationalsozialisten ihn nicht gehen lassen wollten.


Im Konzentrationslager Dachau

Über das Leben von Heinz Eschen im Konzentrationslager Dachau gibt es zahlreiche detaillierte Berichte von ehemaligen Kameraden. Seine Rolle als Kapo wurde zudem in wissenschaftlichen Publikationen kritisch beleuchtet. Die Fülle dieser Quellen hier abzubilden ist kaum möglich. Allerdings setzten bisherige biografische Skizzen oftmals mit seiner Ankunft in Dachau bzw. seiner Festnahme in Schwabing an. Doch Heinz Eschen hatte auch ein Leben vor Dachau. Deshalb soll der Fokus hier darauf liegen die Jahre in Dachau in seine Lebensgeschichte einzureihen und Verknüpfungspunkte aufzuzeigen zwischen Heinz Eschen, dem aufgeschlossenen Wahlmünchner, und Heinz Eschen, dem Kapo des Judenblocks.

Am 26. November 1933 wurde Heinz Eschen in das Konzentrationslager Dachau gebracht und erhielt dort die Häftlingsnummer 4527. Zu diesem Zeitpunkt war er ein erfahrener kommunistischer Jugendführer, der mit dem gewalttätigen Potenzial des Nationalsozialismus gut bekannt war. Allein im Jahr 1933 wäre Heinz Eschen beinahe zwei Mal gestorben: Erst durch den Nackenschuss in Schwabing und dann später in Bayreuth, als ihn die Gefängniswärter fast zu Tode prügelten. Als er im Konzentrationslager Dachau ankam, muss er geahnt haben, was ihn dort erwartete.

Über seine ersten Jahre im Konzentrationslager ist nicht viel bekannt. Im Sommer 1935 verließ er Dachau kurzzeitig, womöglich wurde er an ein Gefängnis überstellt oder musste ins Krankenhaus. Im Juni 1935 kam er zurück nach Dachau und erhielt die Häftlingsnummer 7620. In den Akten des Konzentrationslagers wird er als „ehemaliger Student“ geführt. Diese Bezeichnung behielt er bis zuletzt, obwohl sein angebliches Studium schon einige Jahre zurücklag.

Geschichten über seine Tatkraft im Kampf gegen die Nationalsozialisten in München und seinen brutalen Empfang im Gefängnis in Bayreuth hatten sich nach seiner Ankunft in Dachau herumgesprochen und bei den Gefangenen Eindruck gemacht. In Dachau genoss Heinz Eschen wegen seiner Disziplin, Tapferkeit und seinem Mut ein hohes Ansehen. Auch die SS war beeindruckt mit welcher Standhaftigkeit er die Folter im Lager ertrug. Seine Überlebensstrategie war eiserne Disziplin. Ehemalige Kameraden berichteten, wie Heinz Eschen einmal 25 Schläge freiwillig auf sich nahm, weil der Häftling, dem sie gebührten, diese womöglich nicht ertragen hätte. Er bewunderte seinen Freund und Parteigenossen Albert „Bertl“ Bruckner, der nach mehrstündiger Folter, von der SS dazu gezwungen wurde Schuhplattler zu tanzen und dies trotz immenser Schmerzen tat.

Die Familie von Heinz Eschen wusste, dass er sich im Konzentrationslager Dachau befand. Womöglich dachten sie sich anfangs nicht viel dabei, war Heinz Eschen doch schon mehrmals wegen seiner kommunistischen Aktivitäten mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Von seiner Mutter bekam Heinz Eschen ab und zu Briefe mit der Frage, ob er denn noch immer Kommunist sei. Seine Schwester Hildegard und die Freundin, mit der er in Schwabing zuletzt zusammengelebt hatte, schickten ihm regelmäßig kleine Geldbeträge.


Der Kapo des Judenblocks

Heinz Eschen wurde zunächst Funktionshäftling eines Arbeitskommandos. Zu irgendeinem Zeitpunkt im Jahr 1936 wurde er schließlich von der Lagerleitung zum Blockältesten des Blocks der jüdischen Gefangenen in Dachau ernannt. Dass genau er Blockältester oder „Kapo“ wurde, war kein Zufall. Es war die Strategie der SS die „Politischen“ zu Funktionshäftlingen zu ernennen, um so den Zusammenhalt zwischen ihnen zu brechen. Die Funktionshäftlinge mussten die Befehle der SS gegenüber ihren Mithäftlingen ausführen und das Unrechtsregime durchsetzen. Taten sie das nicht, wurden sie selbst Opfer dieser Gewalt. Als Blockältester fand sich Heinz Eschen also in einem unlösbaren Dilemma wieder.

Sein Verhalten war demensprechend ambivalent. Wie schon in München scheute Heinz Eschen vor Gewalt nicht zurück. Die jahrelangen Erfahrungen in Straßenkämpfen und Saalschlachten hatten ihn geprägt und wahrscheinlich auch in gewisser Weise desensibilisiert. Auf Befehl der SS-Blockführer schlug er auf neuankommende Häftlinge ein, schimpfte und trat sie. Den erschrockenen Neuankömmlingen musste danach erklärt werden, dass er das nur tat, weil er vor der SS den Anschein eines gehorsamen Kapos erfüllen musste. Nach außen hin gab Heinz Eschen den strengen Kapo, der von seinen Mithäftlingen militärische Disziplin forderte, um dann in kritischen Situationen diese schützen zu können.

Als Kapo genoss er besondere Privilegien. Er musste kaum arbeiten, bekam zusätzliches Essen und konnte in seiner Freizeit Sport treiben. Ehemalige Mithäftlinge beschrieben ihn in dieser Zeit als schlank, muskulös und auch eitel. Er trug stets eine tadellose Uniform samt Mantel, polierte Stiefel und eine nagelneue Mütze. Obwohl es Juden verboten war, die Lagerbibliothek zu nutzen, durfte Heinz Eschen jedes Buch und die vorhandenen Zeitungen lesen.

Der Großteil der rund 200 jüdischen Häftlinge in Dachau war nicht politisch organisiert und nur etwa 20 von ihnen waren politische Schutzhäftlinge. Einige von ihnen kannte Heinz Eschen wahrscheinlich noch aus seiner Zeit beim KJVD, zum Beispiel die KPD-Genossen Arno Isner aus Nürnberg und Albert „Bertl“ Bruckner aus Augsburg. Beide wurden in Dachau enge Freunde von ihm. Als er Kapo wurde, machte er Isner zum Blockschreiber. Laut Berichten von Überlebenden, waren die beiden charakterlich grundverschieden, hatten zusammen aber einen großen Einfluss auf die Geschicke im Judenblock. Andere kommunistische Häftlinge im Judenblock waren unter anderem August Cohn, Emil Carlebach, Herbert Mindus, Werner Neukircher, Walter Czollek und Fritz Rabinowitsch.


Zusammenhalt und Spannungen

Zwei seiner Stärken zahlten sich in Dachau besonders aus. Zum einen war er gut darin, Netzwerke zu bilden und Kontakte zu knüpfen. Zum anderen hatte er gelernt, wie wichtig es war, verschiedene Rollen annehmen zu können. Vor 1933 war er ständig unterwegs und traf auf die unterschiedlichsten Menschen. Er stellte sich mal als revolutionärer Student, bodenständiger Landwirtschaftslehrling oder beschäftigter Kaufmann vor. Diese Flexibilität in seiner Außendarstellung kam ihm in Dachau zugute, unabhängig davon, ob sie der Wahrheit entsprachen oder nicht.

Er hatte Verbindungen in alle Bereiche des Lagers und sogar zu den SS-Stellen. Obwohl die jüdischen Häftlinge weitestgehend isoliert waren, bestanden auch Kontakte zu den „arischen“ politischen Häftlingen in den anderen Baracken. Er nutzte diese Verbindungen und seine Privilegien als Kapo, um beispielsweise Medikamente für kranke Häftlinge zu besorgen oder schwache Häftlinge zu schützen, indem er sie aus besonders gefährlichen Arbeitskommandos entfernte.

Immer wieder testete er die Grenzen dieser vermeintlichen Freiheit aus. Beim Strafexerzieren stimmte er einmal das Lied „Die Seeräuber“ an. Noch bevor er zum Refrain kommen konnte, der bekanntlich „wir sind die Herren der Welt“ lautet, unterbrach ihn der SS-Mann und befahl ihm, die Übung neu zu beginnen. Wieder stimmte Heinz Eschen „Die Seeräuber“ an, wieder wurde er unterbrochen. Beim dritten Mal ließ der SS-Mann ab. Manche fanden dieses Verhalten „tollkühn“, andere bewunderten ihn für seinen Mut.

Überhaupt sang Heinz Eschen viel in Dachau, erinnerte sich sein Freund Alfred Lomnitz. Von Liedern der Jugendbewegung bis zu bayerischen Schnaderhüpferln (volkstümliche Vierzeiler). Das gemeinsame Singen stärkte die Moral und den Zusammenhalt der Gruppe. Als zum Beispiel Hans Litten, der „Anwalt des Proletariats“, im Oktober 1937, gezeichnet durch die jahrelange Haft und Folter, nach Dachau kam, versuchte Heinz Eschen zusammen mit den anderen Politischen, ihn aufzumuntern, indem sie gemeinsam Lieder sangen. Während der Isolierungen, bei denen die SS den Block über mehrere Wochen hinweg komplett abriegelte, organisierte er Gesangs- und Diskussionsabende, bei denen über Politik und Kultur gesprochen wurde. Er trug Gedichte von Kurt Tucholsky und Erich Kästner vor.

Aber nicht alle waren von seinem Agieren als Kapo begeistert, denn er behandelte nicht jeden gleich. Heinz Eschen war in Dachau nach wie vor überzeugter Kommunist, auch wenn er eigentlich schon lange nicht mehr wusste, was in der Partei vor sich ging. Er sah sich zuallererst seinen Parteifreunden solidarisch verpflichtet. In diesem Zusammenhang wurden auch etablierte Fronten innerhalb der Arbeiterbewegung aufrechterhalten. Der Rote-Hilfe-Anwalt Ludwig Bendix berichtete später wie Werner Scholem, Vertreter des ultralinken Flügels in der KPD und Bruder von Gershom Scholem, bei seiner Ankunft im KZ von Heinz Eschen angeschrien wurde, er solle bloß nicht versuchen die Gruppe politisch zu spalten.

Bendix konstatierte kritisch, es „wäre doch unerhört, hier alte Parteidifferenzen auszutragen, obgleich doch im Lager die Pflicht der Solidarität alle Schutzhäftlinge einheitlich (…) umschloss.“ Doch Heinz Eschen sah das anders. Einmal verprügelte er einen viel älteren Gefangenen, um an ihm ein Exempel zu statuieren. Grundlage für den Gewaltausbruch war die Aussage zweier junger KPD-Genossen, die dem Häftling unsolidarisches Verhalten in der Vergangenheit vorwarfen. Ein anderes Mal verbrannte er die Gebetsbücher seiner orthodoxen Mithäftlinge, weil diese einen anderen Gefangenen gedeckt hatten.


Todesumstände

Nicht wenige empfanden seine Strafen als extrem und unverhältnismäßig. Diese internen Spannungen im Block spielten eine erhebliche Rolle bei den Geschehnissen, die letztendlich zu seinem Tod führten. In Zeitzeugenberichten von Überlebenden nahm der Häftling Waldmar Millner dabei eine entscheidende Rolle ein. Laut diesen Berichten war Waldemar Millner schon länger nicht einverstanden mit der Führung von Heinz Eschen und hegte Ressentiments gegen ihn. So weigerte er sich, in die von Heinz Eschen eingerichtete Wohlfahrtskasse für bedürftige Häftlinge im Block, Geld einzuzahlen. Heinz Eschen zwang ihn danach, die Schuhe aller 200 Häftlinge im Block zu putzen.

Im November 1937 wurde der jüdische Häftling Kurt Riesenfeld brutal von der SS ermordet. Heinz Eschen soll daraufhin einen Bericht über dieses Verbrechen, mithilfe seiner Kontakte in der Lagerverwaltung, nach draußen geschmuggelt haben. Ohne zu wissen, wer für die Berichte in der ausländischen Presse verantwortlich war, ordnete die SS als Strafe die Isolierung des Blocks der jüdischen Häftlinge an. Während dieser Isolierung kam es dann zum offenen Konflikt zwischen Heinz Eschen und Waldemar Millner. Letzterer schlug im Streit die Fensterscheibe des Blocks mit einer Suppenkelle ein. Heinz Eschen meldete dies sofort dem Blockführer. Daraufhin soll Waldemar Millner Heinz Eschen an die SS verraten haben. Über den Inhalt dieses Verrats gibt es mehrere Versionen.

Eine Version besagt, dass Millner der SS erzählt haben soll, dass Heinz Eschen im Judenblock einen politischen Lesekreis eingerichtet und die Häftlinge zum Widerstand angeleitet habe. Eine andere Überlieferung wiederum besagt, dass Millner der SS von einer angeblich homosexuellen Beziehung zwischen Heinz Eschen und dem Häftling Herbert Hirschfeld berichtet habe. Herbert Hirschfeld war noch minderjährig, als er in Dachau ankam, und Heinz Eschen nahm sich seiner an. Für einige Zeit waren die beiden unzertrennlich. Doch laut Alfred Lomnitz, handelte es sich lediglich um eine Schwärmerei, der keine tatsächliche sexuelle Beziehung zugrunde lag. Der SS war das höchstwahrscheinlich egal. Sie nahm Waldemar Millners Anschuldigungen dankend an, um Heinz Eschen loszuwerden.

Ob politischer Widerstand oder Liebesbeziehung (oder vielleicht beides): Tatsache ist, dass Heinz Eschen am 30. Januar 1938 in den „Kommandaturarrest“ kam. Er wurde verhört und gefoltert. Einen Tag später, am 31. Januar 1938, fast auf den Tag genau fünf Jahre nach der Demonstration in Schwabing, war Heinz Eschen tot. Er wurde 28 Jahre alt. Die Bestattung auf dem israelitischen Friedhof in München wurde von seiner Mutter organisiert. Sein Grab befindet sich noch heute dort.

Auch zur Todesursache gibt es verschiedene Theorien. Der Häftling Sepp Eberl berichtete, er habe beim Dienst in der SS-Kantine mitbekommen, wie die SS-Männer auslosten, wer Heinz Eschen in seiner Zelle umbringen sollte. Das Los fiel auf SS-Oberscharführer Kantschuster, der sich sofort in den „Bunker“ begab. Nach einer halben Stunde kam er wieder und berichtete lapidar: „erledigt“. Franz Feldheim, der sich zur gleichen Zeit in einer Zelle im „Bunker“ befand, war der letzte, der mit Heinz Eschen vor seinem Tod in Kontakt war. Er erinnerte sich später daran, wie er hörte, dass ein SS-Mann die Zelle von Heinz Eschen aufsperrte und lautstark feststellte, dass dieser ja schon tot sei. Vielleicht hatte Heinz Eschen also in seiner Zelle Suizid begangen oder war zwischenzeitlich an den Folgen der Folter gestorben.

Sein Tod löste unter seinen Freunden im Block Bestürzen aus. Hans Litten, mit dem er sich eng angefreundet hatte und der im Zuge der Vorfälle ebenfalls von der SS gefoltert worden war, nahm sich wenige Tage nach dem Tod von Heinz Eschen das Leben. Waldemar Millner und Bertl Bruckner kamen 1942 in Dachau und Buchenwald zu Tode. Herbert Hirschfeld wanderte nach Haiti aus. Franz Feldheim und Arno Isner emigrierten nach Großbritannien. Arno Isner war zunächst im Kitchener Camp untergebracht, nach Ausbruch des Kriegs wurde er als „enemy alien“ in Kanada interniert. Nach dem Krieg kehrte er nach Deutschland zurück. Alfred Lomnitz ging zunächst in die USA, schloss sich der US Army an und war bei der Befreiung des KZ Dachau dabei. Später ließ er sich in Großbritannien nieder. 


Die Ausstellung „Der ewige Jude“

Die Wachsmoulage von Heinz Eschen in der Ausstellung „Der ewige Jude“ im Deutschen Museum in München, 1937. Bild: Stadtarchiv München DE-1992-FS-NS-1602

Bild: Stadtarchiv München DE-1992-FS-NS-1603

Mit seinem Tod war die Wirkungsgeschichte von Heinz Eschen noch lange nicht vorbei. War sein Name zu Lebzeiten höchstens in kommunistischen Kreisen ein Begriff, sollte sein Gesicht bald über die Grenzen des Reichsgebiets bekannt sein.

Am 8. November 1937 eröffneten Reichspropagandaminister Joseph Goebbels und Frankens Gauleiter Julius Streicher im Kongresssaal des Deutschen Museums in München die antisemitische Ausstellung „Der ewige Jude“. Ziel war es, bei den Besuchern Gefühle von Hass, Angst und Neid gegenüber der jüdischen Bevölkerung zu schüren und so das ideologische Fundament zur Ausgrenzung der jüdischen Mitbürger und Mitbürgerinnen zu legen.

Neben vielen Schaubildern wurden auch mehrere Wachsmoulagen ausgestellt, die die angeblich typischen äußeren Merkmale von Juden veranschaulichen sollten. Zwischen überdimensionalen Nachbildungen von Ohren, Nasen und Augen konnten die Besucher der Ausstellung drei lebensgroße Nachbildungen von Köpfen jüdischer KZ-Häftlinge betrachten. Einer dieser Wachsköpfe zeigte Heinz Eschen.

Der 31. Januar 1938 war der letzte Besuchstag der Ausstellung. Während die letzten Besucher und Besucherinnen mittags durch die Ausstellungsräume im Deutschen Museum schlenderten und vis-a-vis seinem Wachskopf stehen blieben, befand sich Heinz im „Bunker“ und wurde gefoltert. Als sich dann abends die Eingangstore zum Deutschen Museum schlossen, war Heinz tot. Sein Wachskopf aber blieb fester Bestandteil der Wanderausstellung. Bis Sommer 1939 konnten Interessierte die Ausstellung in Wien, Berlin, Bremen, Dresden und Magdeburg besuchen.


Zur Entstehung der Wachsmoulage

Aber warum musste unbedingt Heinz Eschen als Sinnbild einer angeblichen jüdischen Physiognomie herhalten? Es gab sicherlich berühmtere jüdische KZ-Häftlinge im Dritten Reich, die von den Nationalsozialisten für diese Zwecke inszeniert hätten werden können. Es sei denn, die Wachsmoulagen wurden nicht exklusiv für die Ausstellung hergestellt. Eine Überlegung zur Entstehungsgeschichte seines Wachskopfes führt in das Jahr 1933 zurück.

Kurz nachdem Heinz Eschen in Dachau ankam, besuchte der Künstler und Hobby-Anthropologe Hans Lichtenecker (1891-1988) das Konzentrationslager. Sein Ziel war es, die dortigen Häftlinge zu vermessen und zu studieren. Einige Jahre zuvor hatte Hans Lichtenecker in Afrika ähnliche Studien durchgeführt. Er war der Annahme, dass man anhand der Physiognomie auf Charaktereigenschaften und Intelligenz schließen könne. Demnach lag der Fokus seiner Forschungen auf der Anfertigung von Gipsabdrücken seiner Untersuchungsobjekte.

In Dachau untersuchte und beschrieb Hans Lichtenecker insgesamt 14 Häftlinge nach anthropometrischen Maßen und Charaktermerkmalen, darunter auch Heinz Eschen. Hans Lichtenecker notierte, dass er intelligent und „mit Bewusstsein Jude“ sei. Beim Abformen sei er allerdings wiederholt „unanständig“ aufgefallen. „Beweis jüdischer Furchtsamkeit?“, notierte sich Hans Lichtenecker fragend. Die Möglichkeit, dass die Häftlinge sich nur widerwillig zu Objekten seiner „Forschung“ machen lassen wollten und sich deshalb wehrten, kam ihm dabei nicht in den Sinn.

Der Wachskopf von Heinz Eschen könnte also bereits 1933 von Hans Lichtenecker in Dachau hergestellt worden sein. Denkbar wäre auch, dass von den Dachauer KZ-Häftlingen zu verschiedenen Zeitpunkten Gipsabdrücke genommen wurden, sei es von Hans Lichtenecker oder einem anderen „Künstler“. Einer der Wachsköpfe in der Münchner Ausstellung zeigte nämlich den KZ-Häftling und bekannten Kommunisten Werner Scholem, der aber erst 1937 nach Dachau kam und 1940 im KZ Buchenwald ermordet wurde. Mit ihm war Heinz Eschen in Dachau über politische Differenzen aneinandergeraten. Jetzt standen ihre Wachsköpfe Seite an Seite im Deutschen Museum. Offen bleibt, wem der dritte Wachskopf zuzuordnen ist, in welchem Zusammenhang dieser entstand und ob er ebenfalls einen Kommunisten zeigt.

„Der ewige Jude“ war eine der meistbesuchten Propaganda-Ausstellungen des NS-Regimes. Insgesamt besuchten mehr als 1,3 Millionen Menschen die Ausstellung. Wie viele von diesen Besucherinnen und Besuchern blieben vor den drei Wachsköpfen stehen? Welche Gedanken und Gefühle lösten diese bei den Betrachtern aus? Wurden sie in ihrem Hass auf Juden bestärkt oder empfanden sie gegenüber den Namenlosen Empathie?

Der ungarisch-tschechoslowakische Journalist Eugen V. Erdely (auch bekannt als Jenő Erdely, 1890-1969) besuchte im Dezember 1937 die Ausstellung in München und schrieb in seinem Bericht für die Prager Zeitschrift Přítomnost: „Wir bleiben stehen und besichtigen die drei Wachsköpfe der lebenden Zeitgenossen. Der eine von ihnen zeigt ein Gesicht, erfüllt von unterdrücktem, fast unmenschlichem Zorn, der zweite stellt einen friedlichen Burschen mit unendlich schmerzvollem Gesichtsausdruck dar, der dritte ist die Verzweiflung in Person. Wer sind sie? Das können keine Verbrecher sein, auch nicht im Sinne des heutigen deutschen Gesetzes, sonst wären sie im Zuchthaus und nicht im Konzentrationslager.“


Schicksal der Familie

Seine Mutter Bianka Eschen wurde am 18. Oktober 1941 in das Ghetto Litzmannstadt im besetzten Polen deportiert. Am 8. Mai 1942 kam sie in das Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno), wo sie am Tag ihrer Ankunft, im Alter von 61 Jahren, ermordet wurde.

Seine Schwester Hildegard Eschen trat am 12. Dezember 1937 aus der jüdischen Gemeinde in Berlin aus. 1938 zog sie in die Niederlande nach Amsterdam. Im Juli 1942 heiratete sie dort Kurt David Kristeller (geb. 1906 in Fraustadt). Am 29. September 1943 wurde sie zusammen mit ihrem Mann vom Sicherheitsdienst des Reichsführers SS (SD) verhaftet und in das Durchgangslager Westerbork gebracht. Im Frühjahr 1944 kamen Hildegard Eschen und Kurt Kristeller in das Ghetto Theresienstadt. Während Hildegard Eschen bis Ende des Krieges in Theresienstadt blieb, wurde Kurt Kristeller erst in das Konzentrationslager Auschwitz und dann am 10. Oktober 1944 nach Kaufering, Außenlager des KZ Dachau, gebracht. Das weitere Schicksal von Kurt Kristeller ist nicht abschließend geklärt. Er verstarb vielleicht am 26. oder 29. April 1945, als der Deportationszug, in dem er sich befand, bombardiert wurde. Am 4. Mai 1945 wurde er für tot erklärt.

Hildegard Eschen erlebte die Befreiung des Ghettos Theresienstadt durch die Rote Armee im Mai 1945 und kehrte nach Ende des Zweiten Weltkriegs nach Amsterdam zurück. Im Februar 1953 heiratete sie den niederländischen Fotografen Willem van de Poll. Mit ihm bereiste sie die Welt und zog Ende der 1960er Jahre nach Ascona in die Schweiz. Dort verstarb sie in den 1970er Jahren. Hildegard Eschen hatte eine Tochter, Ilse, geboren 1935 in Berlin, aus einer früheren Beziehung. Ilse überlebte den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg in Berlin.

Sowohl väterlicher- als auch mütterlicherseits hatte Heinz Eschen viele Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen. Einige von ihnen wanderten aus und ihre Nachkommen leben heute in Großbritannien, den Niederlanden, Israel und den USA. Viele andere wurden im Holocaust ermordet. Einer der wenigen Verwandten von ihm, der den Holocaust in Berlin überlebte und auch nach dem Krieg weiterhin in Deutschland lebte, war sein Cousin, der Bildjournalist Fritz Eschen (1900-1964). Seine zweite Ehe mit der „Arierin“ Gertrude „Lipsy“ Thumm bewahrte ihn vor der Deportation.


Nachleben

Nach 1945 waren es vor allem die Kameraden aus dem Konzentrationslager und ehemalige Parteigenossinnen und Genossen, die sich darum bemühten, dass Heinz Eschen nicht in Vergessenheit geriet. Er fand Erwähnung in Berichten von Überlebenden. Trotz seiner ambivalenten Rolle als Kapo, blieb er vielen als Vorbild in Erinnerung. Alfred Lomnitz resümierte im Juli 1939 aus seinem Exil in Bombay: obwohl Heinz Eschen kein Held gewesen sei, habe er doch dafür gesorgt, dass die „geistige Front“ im Lager gehalten wurde. Er und vielen anderen jungen, engagierten Menschen habe man jede Möglichkeit einer politischen Teilhabe genommen. Stattdessen habe man sie eingesperrt und ermordet. Letztendlich hinterlasse Heinz Eschen der „Nachwelt nichts als ein paar Freunde und Bekannte, die ihn wohl bis an ihr Lebensende nicht vergessen werden.“

Die Erinnerungsarbeit wurde zunehmend erschwert durch den Kalten Krieg und die erstarkende ideologische Front zwischen der Sowjetunion und den USA. Der Umgang mit Widerstandskämpfern aus dem linken Spektrum in der Westdeutschen Erinnerungskultur wurde immer komplexer. Hinzu kam, dass man besonders in der Nachkriegszeit im konservativen Bayern und München, seinem letzten Wohnort und seine politische Wirkungsstätte, wenig mit seinen Idealen und vielleicht auch mit seiner möglichen Homosexualität anfangen konnte. Schwulen Opfern der NS-Diktatur wurde nach 1945 oftmals nicht angemessen gedacht.

In der DDR schrieb der Rostocker Geschichtsprofessor Karl-Heinz Jahnke Ende der 1950er Jahre erstmals eine kurze Biografie über Heinz Eschen. Er sprach für seine Studie mit ehemaligen Kameraden und seiner Familie. In den 1990er Jahren folgte eine aktualisierte Fassung dieser Biografie in den Dachauer Heften. Allerdings wurden wichtige Akten, zum Beispiel zu Heinz Eschens Zeit in Bayreuth, für diese Nachforschungen nicht herangezogen.

In den 1970er wurde die Rolle von Heinz Eschen als Widerstandskämpfer von der Münchner Studentenbewegung aufgegriffen. Der Marxistische Studentenbund Spartakus (MSB Spartakus) hatte in der Angererstraße eine kleine Versammlungsstätte, die als Heinz-Eschen-Zentrum bekannt war.

In den 1990er Jahren kamen dann zwei weitere kurze Biografien hinzu. Als Teil der Ausstellung „Deckname Betti“ in München forschten der Kreisjugendring und die DGB-Jugend zu Heinz Eschen. Resi Huber, die selbst im Widerstand aktiv war, schrieb über ihn in ihrer Publikation „Die wiedergefundene Liste“. Zuletzt war Heinz Eschen auch Teil der Nachforschungen der Gedenkstätte KZ Dachau, hier wurde erstmals Lichteneckers Forschungsarbeit in Dachau näher beleuchtet.

In seiner Familie war die Erinnerung nicht leicht, zumal der Kontakt zwischen ihm und seinen Verwandten bereits zu Lebzeiten teilweise abgebrochen war. Sein politischer Aktivismus traf auf Unverständnis in der bürgerlichen Familie. Hinzu kam, dass man nach 1945, wie auch in vielen anderen Familien, die erfahrenen Traumata lieber ungesagt ließ. „Zuhause sprachen wir selten vom Schicksal unserer Verwandten im Holocaust“, erinnerte sich der Jurist Ernst Numann, Enkel seiner im Holocaust umgebrachten Cousine Elsbeth Neumann-Wolff. Klaus Eschen, ebenfalls Jurist und Sohn seines Cousins Fritz, erinnerte sich daran, dass sich nach dem Krieg immer wieder ehemalige KZ-Kameraden von Heinz Eschen bei der Familie in Berlin meldeten. Später bemühte sich Klaus Eschen dann darum mehr Informationen zu Heinz Eschen herauszufinden und reiste dafür nach Dachau.

Zuletzt sei noch einmal Alfred Lomnitz (später bekannt als Alfred Laurence) erwähnt, der ausführlich über Heinz Eschen berichtete. Dank seiner Ausführungen sind viele Details zum Charakter und seinen Vorstellungen überliefert. Lomnitz erinnerte sich zum Beispiel daran, wie ihm Heinz Eschen im Lager einmal eine Stelle aus dem russischen Roman „Städte und Jahre“ von Konstantin Fedin aus dem Jahr 1927 vorlas:

„Noch einmal möchte ich zur Welt kommen, nur noch einmal. O Gott! In hundert Jahren wieder! Um zu sehen, wie die Menschen schon bei der leisesten Erwähnung dieser Jahre weinen, um sich vor einem vermoderten Stück der Fahne zu neigen, um den Kriegsbericht der Roten Arbeiter- und Bauernarmee wieder zu lesen! In hundert Jahren zur Welt kommen und plötzlich sagen können: Ich habe damals gelebt, in jenen Jahren! Und habe eines Tages, in einer feuchten, kalten Nacht in Petersburg, in Petrograd, mit diesen Händen Schützengräben ausgehoben, bin durch die menschenleeren Straßen der sterbenden und kämpfenden Stadt gegangen, Arm in Arm mit einem Soldaten der roten Armee (…).“

Wenn man das von sich sagen könne, dann hätte man nicht umsonst gelebt, sagte Heinz Eschen.


Erinnerung in München

Die ErinnerungsWerkstatt München hat 2022 das Grab von Heinz Eschen auf dem israelitischen Friedhof erneuern lassen. Zudem wurde ein Erinnerungszeichen bei der Stadt München beantragt. 

Das Grab von Heinz Eschen auf dem Neuen Israelitischen Friedhof in München vor der Renovierung (Bild: Privat)

Das Grab nach der Renovierung im Frühjahr 2023 (Bild: Privat)


Text und Recherche

  • Susana Zickert

Quellen

  • Akte von Eschen, Heinz. 1.1.6.2. Individuelle Unterlagen Dachau, 01010602 044.092, ITS Digital Archive, Arolsen Archives.

  • Akte zum Strafverfahren Eschen/Cammerer 1932 vor dem Amtsgericht München. Staatsarchiv München, Amtsgerichte 42835.

  • Alphabetisches Zugangsbuch der Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau von 1933-1935. 1.1.6.1. Listenmaterial Dachau, 130429071, ITS Digital Archive, Arolsen Archives.

  • Alphabetisches Zugangsbuch der Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau von 1933-1935, 1.1.6.1. Listenmaterial Dachau, 130429072, ITS Digital Archive, Arolsen Archives.

  • Anklageschrift gegen Heinz Eschen und Johann Nützel. Amtsgericht München, 31.2.1933. Archiv der Münchner Arbeiterbewegung e.V.

  • Austrittskarte Eschen, Hildegard. 1937. Stiftung Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum Archiv, 2 A 1.

  • Bendix, Ludwig: Konzentrationslager Deutschland und andere Schutzhafterinnerungen. Leo-Baeck-Institut, Ludwig Bendix Collection, 1912-1965, AR 3380.

  • Bericht der Bayerischen Politischen Polizei über die kommunistische Bewegung in Bayern seit dem 9. III. 1933. Bericht vom 25. Mai 1933. Bayerisches Haupstaatsarchiv, MA 106312, StK 6312.

  • Berliner Adressbuch. Unter Benutzung amtlicher Quellen. 1925. Druck und Verlag von August Scherl.

  • Blutiger Zusammenstoß zwischen Polizeibeamten und Kommunisten. In: Münchner Post. München, 2. Februar 1933. S. 13.

  • Bundesarchiv, R 58/3256, Bl. 131 und R 58/3566a, Bl. 162.

  • Einlieferungsbuch Polizeidirektion München, Staatsarchiv München, 8564.

  • Einlieferungsbuch Polizeidirektion München, Staatsarchiv München, 8567.

  • Einlieferungsbuch Polizeidirektion München, Staatsarchiv München, 8568.

  • Einwohnermeldekartei für Eschen, Heinz. 1931. Stadtarchiv München.

  • Einwohnermeldekartei für Eschen, Heinz. 1928. Stadtarchiv Erfurt.

  • Gefangenenbuch Justizvollzugsanstalt München, Staatsarchiv München, 904.

  • Gefangenenbücher 91, 17.04.1931 bis 13.04.1934. Gefangenenanstalt und Zuchthaus St. Georgen-Bayreuth - JVA St. Georgen-Bayreuth. Staatsarchiv Bamberg, K 190. 

  • Gespräch mit Klaus Eschen, geführt am 9. August 2023.

  • Gespräch mit Ernst Numann, geführt am 10. September 2023.

  • Handelskammer München (Hrsg.): Münchner Stadtadreßbuch 1933. Vollständiges Münchner Einwohner-, Geschäfts-. Behörden-, Vereins- und Vorortsadreßbuch. München, 1933.

  • In Schwabing durch Helds Polizei: Arbeiter von hinten niedergeschossen. In: Neue Zeitung. Organ der Kommunistischen Partei Deutschlands. München, 2. Februar 1933. S. 1.

  • Informationen und handschriftliche Vorbemerkungen aus dem "Projekt Geschichtswerkstatt" zu Heinz Eschen, inkl. Erinnerungen von Bertl Lörcher. Archiv der Münchner Arbeiterbewegung e.V.

  • Jüdische Häftlinge, Wintersberger Oscar, Bericht verschied., Archiv der KZ-Gedenkstätte Dachau, DaA 1066.

  • Korrespondenz mit Edith Meinhardt, E-Mail vom 08. Februar 2024.

  • Kriminalbiologische Sammelstelle, 1933. Bayerisches Hauptstaatsarchiv, 5776.

  • Kommunistische Ausschreitungen. Ein Schutzmann und ein Demonstrant verletzt. In: Münchner Neuste Nachrichten, Nr. 32. München, 2. Februar 1933. S. 14.

  • Mappe Jüdische Häftlinge, Herbert Hirschfeld, Dokumente, Archiv der KZ-Gedenkstätte Dachau, DaA 977.

  • Mappe Jüdische Häftlinge, Heinz Eschen, Berichte, Archiv der KZ-Gedenkstätte Dachau, DaA 951.

  • Mappe Jüdische Häftlinge, Löwenstein Edgar, Bericht über die Ermordung, Archiv der KZ-Gedenkstätte Dachau, DaA 1005.

  • Medizinische Versuche, Gipsmodelle, A.H. Lichtenecker, Dokumente, 1933, Archiv der KZ-Gedenkstätte Dachau, DaA 5858, 42579.

  • Meldekartei von Eschen, Isidor. Archivum Panstwowe w Poznaniu, 336.

  • Politische Demonstrationen. In: Münchner Neuste Nachrichten. München, 13. Februar 1933. Nr. 43. S.

  • Registration Card for Eschen, Hildegard. Archief Nederlandse Rode Kruis (NRK), Centraal Europese Cartotheek (CEC) (archive number 2.19.287), inventory number 104.

  • Registration Card for Eschen, Hildegard. Archief Nederlandse Rode Kruis (NRK), Joodsche Raad Cartotheek (JR) (former archive number 2.19.294), inventory number 23. Now part of the collection of Joods Museum.

  • Registration Card for Eschen, Hildegard. Archief Nederlandse Rode Kruis (NRK), Opgave Representanten (archive number 2.19.304), inventory number 8, file 8610.

  • Schreibstubenkarten Eschen, Heinz, 1.1.6.7. Schreibstubenkarten Dachau, 10638732, ITS Digital Archive, Arolsen Archives.

  • Stammbaum der Familie Eschen, angefertigt von Rudolf Numann.

  • Strafprozessregister. Landesarchiv Thüringen, Hauptstaatsarchiv Weimar, Thüringisches Amtsgericht Jena Nr. 603, Bl. 14v/15r, 46v/47r und 50v/51r.

  • Stietencorn, Fabian: Reichslager Dachau, 1936. Bericht eines, der es kürzlich erlebte. Artikelserie in: Pariser Tageblatt, 1936.

  • Verfahren wg. Aufruhr gegen 13 Personen, darunter Heinz Eschen. Landesarchiv Thüringen, Staatsarchiv Gotha, J-Register Geschäftsstelle 4, Jahrgang 1931, Sign. 170, 2-44-0651.

  • Wortprotokoll des Zeitzeugen-Interviews mit Dr. Heinz Feldheim, geführt am 1.3.1989 in Dachau. Haus der Bayerischen Geschichte.

  • Zeitzeugen-Interview mit Johann Nützel, geführt 1978, in: AdMAB, 33.6.4 Bestand Margot Fuchs.

Internet

Literatur

  • Antoni, Ernst: KZ. Von Dachau bis Auschwitz. Faschistische Konzentrationslager 1933 -1945. Frankfurt am Main/ Röderberg-Verlag, 1979.

  • Carlebach, Emil: Tote auf Urlaub: Kommunist in Deutschland. Dachau und Buchenwald 1937–1945. Bonn 1995.

  • Benz, Wolfgang: Im Widerstand. Größe und Scheitern der Opposition gegen Hitler. Bundeszentrale für Politische Bildung, 2020.

  • Bergbauer, Knut; Fröhlich, Sabine; Schüler-Springorum, Stefanie: Hans Litten – Anwalt gegen Hitler. Eine Biographie. Wallstein Verlag, 2022.

  • Broszat, Martin; Mehringer, Hartmut (Hrsg.): Bayern in der NS-Zeit. Die Parteien KPD, SPD, BVP in Verfolgung und Widerstand. Band V. Oldenbourg, 1983.

  • Burgstaller, Rosemarie: Inszenierung des Hasses. Feindbildausstellungen im Nationalsozialismus. Campus Verlag Frankfurt/New York, 2022.

  • Burkhard, Hugo: Tanz mal Jude. Meine Erlebnisse in den Konzentrationslagern Dachau-Buchenwald. Nürnberg, 1963.

  • DKP München (Hrsg.): Die wiedergefundene Liste: Portraits von Münchner Kommunistinnen und Kommunisten, die im antifaschistischen Widerstandskampf ihr Leben ließen. Entdeckt von Resi Huber. München, 1998.

  • Fedin, Konstantin: Städte und Jahre. Roman. Aus dem Russischen von Dmitrij Umanskij. Nachdruck der Ausgabe Berlin, Malik Verlag, 1927. Kiel, Neuer Malik Verlag, 1988.

  • Jahnke, Karl-Heinz: Heinz Eschen - Kapo des Judenblocks. In: Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.): Dachauer Hefte, 7. Solidarität und Widerstand. Verlag Dachauer Hefte, 1991, S. 24–33.

  • Jahnke, Karl-Heinz (Hrsg.): Niemals vergessen. Aus dem antifaschistischen Widerstandskampf der Studenten Europas. Verlag Neues Leben, Berlin 1959.

  • Keller, Marion: Rote Studentengruppe(n). Antifaschistische Organisierung an Universitäten in Deutschland, 1930 bis 1933. In: Arbeit, Bewegung, Geschichte. Schwerpunkt: Der ursprüngliche Antifaschismus. Zeitschrift für historische Studien, 2022/II.

  • Kredel, Georg: Chronik des Dorfes Nieder-Kainsbach. Odenwald, 2004.

  • Vieregg, Hildegard (Hrsg.): Deckname "Betti": jugendlicher Widerstand und Opposition gegen die Nationalsozialisten in München oder ein Plädoyer für "Junge Demokratie" . Ein Projekt des Kreisjugendring München-Stadt und der DGB-Jugend München. Begleitheft zur gleichnamigen Wanderausstellung: "Deckname Betti". Kreisjugendring München-Stadt, 1997.

  • Wünschmann, Kim: Before Auschwitz. Jewish Prisoners in the Prewar Concentration Camps. Harvard University Press, 2015.

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Paula Dreyer

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