Hannelore Bach
Hannelore Bach, 1942, (Foto: privat, aus: E. Philipp „Gerettet“)
Geboren am 3. August 1931 in München
Gestorben am 11. März 1999 in Southgate, Michigan, USA
Kindheit vor dem Krieg
Hannelore Bach im Münchner Tierpark, (Foto: privat, aus: E. Philipp „Gerettet“)
Familie Bach bei einem Ausflug zur Zugspitze, Ostern 1937, (Foto: privat, aus: E. Philipp „Gerettet“)
Pension Patria in der Goethestraße 54, (Foto: Privatbesitz Jörg Watzinger)
Hannelore Bach wurde am 3. August 1931 in München geboren. Sie war die Tochter von Fritz und Lotte Bach, geb. Alex. Die Ehe ihrer Eltern war eine Mischehe - der Vater war jüdisch, die Mutter protestantisch. Sie entschieden sich, die Tochter im christlichen Glauben zu erziehen und ließen sie taufen.
Der Vater war ein erfolgreicher Kaufmann, der von seinem Onkel ein Textilgroß- und Einzelhandelsgeschäft übernommen hatte. Neben zwei Angestellten half auch die Mutter im Lager und Büro mit, während der Vater die weit verstreute Kundschaft auf dem Land mit dem Auto belieferte. Die Familie lebte in einer schönen großen Wohnung in der Goethestraße 72. Hannelore Bach war kein ängstliches Kind, wie ein Foto aus dem Münchner Tierpark beweist.
An den Wochenenden ging man zünftig zum Wandern in die Berge - in Dirndl und Lederhose – es war eine unbeschwerte Kindheit.
Mit einem Ereignis, das sich in Hannelore Bachs Gedächtnis brannte, fand diese unbeschwerte Kindheit ihr jähes Ende: am 10. November 1938 drangen frühmorgens Männer mit schweren Stiefeln in die Wohnung ein und schrien ihren Vater an, dass er mitkommen solle. Sie war sieben Jahre alt. Der Vater kehrte nach knapp vier Wochen zurück - aber nun war nichts mehr wie vorher. Er war im Konzentrationslager enteignet worden, hatte kein Geschäft, kein Auto, keine Ersparnisse mehr. So mussten die Eltern ihre schöne große Wohnung auflösen und alle zusammen, mit einigen wenigen Habseligkeiten, in ein Zimmer der Pension Patria, in der Goethestraße 54, umziehen.
Nach der Freilassung war der Vater dringlich mit der Beschaffung der notwendigen Papiere für die Auswanderung beschäftigt. Im August 1939 war es so weit: über Rotterdam floh er in die USA. Wenige Tage nach seiner Abreise brach der Krieg aus. Damit war seine Hoffnung und sein Plan, die Familie sobald wie möglich nach Amerika nachzuholen, zunichte gemacht.
Erste Kriegsjahre in München
Nach der Flucht des Vaters zog Hannelore Bach mit ihrer Mutter zu den Großeltern mütterlicherseits in die Au. Mit Hilfe der Großeltern, von Freunden und ehemaligen Kunden ihres Vaters konnte sich die Mutter zusammen mit ihr durchbringen. Die Gestapo bedrängte die Mutter, sich scheiden zu lassen, dann hätten sie beide nichts zu befürchten. Diese Option kam für sie jedoch unter keinen Umständen in Frage. Die Weigerung, sich vom Vater zu trennen, klassifizierte die Mutter nach der Nazi-Terminologie als „jüdisch Versippte“ und die Tochter als „jüdischen Mischling 1. Grades“. Diese Einstufung hatte zur Folge, dass Hannelore Bach im Schuljahr 1939/40 - sie war in der 2. Klasse - die Schule verlassen musste, da es
„nach der ruchlosen Mordtat von Paris keinem deutschen Lehrer und keiner deutschen Lehrerin mehr zugemutet werden kann, an jüdische Schulkinder Unterricht zu erteilen. Auch versteht es sich von selbst, daß es für deutsche Schüler und Schülerinnen unerträglich ist, mit Juden in einem Klassenraum zu sitzen. … Soweit es noch nicht geschehen sein sollte, sind alle zur Zeit eine deutsche Schule besuchenden jüdischen Schüler und Schülerinnen sofort zu entlassen.“ (Offenburger Tagblatt vom 14.11.1938)
Aber es sollte noch schlimmer kommen: 1940 gingen Gerüchte um, dass Kinder aus einer „Mischehe“ ihren Eltern weggenommen und in sogenannte „Erholungsheime“ geschickt würden. Das hieß im Klartext, Hannelore Bach drohte die Ermordung, weil ihre Mutter nicht in die Scheidung einwilligte.
Fritz Bach hatte seiner Frau für den Fall äußerster Bedrängnis ans Herz gelegt, sich an die Bäuerin des Plabstnhofes, Maria Gailer, zu wenden, eine seiner treuen Kundinnen aus dem Dachauer Hinterland. Als die Mutter Frau Gailer im Dezember 1940 von ihrer Not erzählte, bot das Ehepaar Gailer ihr an, ihnen die Tochter zu bringen, wenn es gefährlich werden sollte. Neben ihren eigenen sechs Kindern würde ein zusätzliches Kind auf dem Hof nicht weiter auffallen.
„Versteckt“ im Dorf
Ehepaar Gailer mit den Töchtern Marie, Leni und Rosi. Hannelore Bach vorne in der Mitte, 1942, (Foto: privat, aus: E. Philipp „Gerettet“)
Hannelore Bach und Rosi Gailer (von links), August 1942, (Foto: privat, aus: E. Philipp „Gerettet“)
Hannelore Bach mit den Geschwistern Gailer, von links nach rechts: Katharina, Maria, Franz, Hannelore Leni, Leonhard, (Foto: privat, aus: E. Philipp „Gerettet“)
Der Plabstnhof in Niederroth, 1918, (Foto: privat, aus: E. Philipp „Gerettet“)
Anfang 1941 kam das amtliche Schreiben, in dem der Mutter die Einweisung ihrer Tochter in ein Heim für jüdische Kinder angekündigt wurde. Sie meldete ihr Kind umgehend beim Einwohnermeldeamt in München ab, erzählte im Bekanntenkreis, dass sie mit ihrer Tochter zu Verwandten ins Rheinland fahre und brachte sie nach Niederroth. Hannelore Bach kannte die Familie Gailer schon, weil sie ihre Schulferien auf dem Hof hatte verbringen dürfen. Wie eine Tochter wurde sie in dieser Stunde der Not in der Familie aufgenommen.
Hannelore Bach lebte sich schnell in der neuen Umgebung ein. Eine große Hilfe war, dass Rosi, die jüngste Tochter der Familie Gailer, in ihrem Alter war und die beiden schwesterliche Freundinnen wurden. Selbstverständlich half sie bei den Arbeiten im Haus und bei der Versorgung der Tiere auf dem Hof mit. Die Mutter besuchte ihre Tochter so oft sie konnte und fand immer herzliche Aufnahme und ein offenes Ohr für ihre Sorgen.
Der Bauer des Plabstnhofes, Leonhard Gailer, war seit 1936 Bürgermeister von Niederroth, von Amts wegen NSDAP-Mitglied, aber alles anderes als ein Nationalsozialist. Er zog vom ersten Tag an den wichtigsten Mann des Dorfes, den Ortsgruppenleiter, dessen Aufgabe darin bestand, die in seiner Ortsgruppe lebende Bevölkerung zu überwachen, ins Vertrauen. Dieser Ortsgruppenleiter war gleichzeitig der Dorfschullehrer, und nachdem er um Hannelore Bachs Herkunft wusste, schickte der Bürgermeister sie mit seiner Tochter Rosi zusammen in die Schule. Den Pfarrer des Dorfes weihte er ebenfalls ein.
Das ländliche Idyll, das die Fotos widerspiegeln, war trügerisch. Die Schrecken des Dritten Reiches machten auch vor dem Dorf Niederroth nicht Halt, aber ihnen wurde Einhalt geboten durch die starke Persönlichkeit seines Bürgermeisters. Hannelore Bach war der unmittelbaren Gefahr einer Deportation entkommen und konnte sich frei bewegen, aber die Angst vor einer Entdeckung war allgegenwärtig auf dem Plabstnhof. Bei den Dorfbewohnern hatte sich bald herumgesprochen, was es mit dem Kind auf sich hatte, das die Gailers in Obhut genommen hatten. Einige Niederrother kannten auch den Vater des Kindes, weil sie ebenfalls zu seinen Kunden gehört hatten. Das ganze Dorf wusste nicht nur von dem Judenkind, sondern realisierte auch die Gefahr, in der die Familie des Bürgermeisters schwebte. Und das Unglaubliche ereignete sich über vier Jahre hin: keiner hat den geschätzten und hochgeachteten Bürgermeister und das verfolgte Kind denunziert.
Immer wenn ein fremdes Auto im Hof vorfuhr, musste sich Hannelore Bach im Keller verstecken. Einmal schien ihr die Situation so gefährlich, dass sie aus dem Fenster ihres Verstecks kletterte und in Panik neun Kilometer die Bahngleise entlang ins übernächste Dorf zu Verwandten der Gailers lief, wo sie Herr Gailer mit dem Auto wieder abholte. Ein anderes Mal war es sehr brenzlig:
„Eines Tages erscheinen tatsächlich zwei Gestapo-Leute im Haus, die niemand rechtzeitig kommen sah. Sie haben wohl ihr Dienstfahrzeug am Bahnhof Niederroth stehen lassen und den Hof von der Rückseite her betreten. Nun stehen sie in der Stube, wo die Familie sich zum Essen versammelt hat, und wollen den Bürgermeister unter vier Augen sprechen. Leonhard Gailer, der sicher ahnt, was die zwei Beamten wollen, verhält sich ganz ruhig und gibt zu verstehen, daß er vor seiner Familie nichts zu verheimlichen habe, sie sollten nur sagen, was sie herführt. Einer fragt, ob er, der Bürgermeister etwas von einem Judenkind wisse, das sich hier am Ort aufhalte. Gailer blickt seine Familie an und fragt: „Wißt ihr was von einem fremden Kind in Niederroth?“ Alle Familienmitglieder, denen die Angst in die Knochen gefahren ist, beteuern, daß sie nichts Derartiges gehört haben. „Aber“, meint der zweite Beamte und deutet auf Hannelore, „dieses Kind sieht doch ganz anders aus als die anderen!“ Da wird Gailer wütend und schreit: „Da hat der Zimmermann die Tür g’macht, schaun S‘, das ‘nauskommen! Ich laß doch meine Frau net beleidigen, sie hätt‘ ein Judenkind!“ Die Beamten müssen so verdattert gewesen sein, daß sie sich mit Entschuldigungen schleunigst entfernen.“ (zitiert aus: Eleonore Philipp, „Gerettet“, S. 30)
Nach diesem Vorfall nahm Herr Gailer Hannelore Bach vorsichtshalber von der Schule und bat den Dorfschullehrer sie fortan nachmittags zu Hause zu unterrichten.
Bei den schweren Luftangriffen auf München im Juli 1944 wurden die Wohnung der Mutter und das Geschäft ihres Großvaters zerstört. Die Mutter konnte bei einer Freundin unterkommen. Im harten Winter 1944/45 wurde die Versorgungslage für sie immer schwieriger, nicht nur weil sie keine Lebensmittelmarken bekam, sondern weil es in der verwüsteten Großstadt an allem Lebensnotwendigem von Heizmaterial bis Wasser fehlte. Daher beschloss sie, die Familie Gailer noch einmal um Hilfe zu bitten, diesmal für sich selbst. Mit großer Selbstverständlichkeit nahmen sie auch die ausgebombte Mutter ihres Pflegekindes bei sich auf.
Das Kriegsende
Am 28. April 1945 marschierte eine Division der US-Armee in Niederroth ein. Bürgermeister Gailer hatte sich dem Befehl, eine Panzersperre in der Hauptstraße des Dorfes, der Münchner Straße, zu errichten, widersetzt. Stattdessen hängten die Dorfbewohner weiße Tücher an ihre Häuser – eine lebensgefährliche Bekundung ihrer friedlichen Absichten.
Der Reichsführer SS Heinrich Himmler hatte am 3. April 1945 folgende Durchhalteparole, den sogenannten „Flaggenbefehl“, ausgegeben:
„… 2. Gegen das Heraushängen weißer Tücher, das Öffnen bereits geschlossener Panzersperren… ist mit härtester Maßnahme durchzugreifen.
3. Aus einem Haus, aus dem eine weiße Fahne erscheint, sind alle männlichen Personen zu erschießen. Es darf bei diesen Maßnahmen in keinem Augenblick gezögert werden…“ (zitiert aus: Kurt Zentner, Illustrierte Geschichte des Dritten Reiches, S. 598)
Dank des mutigen Beispiels ihres Bürgermeisters konnte Niederroth kampflos von den alliierten Streitkräften eingenommen werden. Hannelore Bach und ihre Mutter waren gerettet.
Emigration
Hannah Lantz (Hannelore) mit Ehemann Larry in Niederroth, August 1995, (Foto: privat, aus: E. Philipp „Gerettet“)
Bald nach Kriegsende kehrten sie zurück nach München. Zusammen mit dem Großvater – die Großmutter war 1941 gestorben – richteten sie sich in der Ohlmüllerstraße ein neues bescheidenes Zuhause ein. Ab Herbst 1945 ging Hannelore Bach auch wieder zur Schule, der Unterricht fiel jedoch oft wegen „Kohleferien“ aus, weil die Klassenräume nicht geheizt werden konnten. Da es an vielen lebensnotwendigen Dingen fehlte, wurde die Familie auch weiterhin von den Gailers unterstützt. Auf dem Fahrrad brachte die Tochter Katharina ihnen Nahrungsmittel, weil die Lokalbahn aufs Land überfüllt war mit „Hamsterfahrern“.
Nachdem im Krieg die Verbindung zum Vater abgebrochen war, gelang es Fritz Bach über den Internationalen Suchdienst des Roten Kreuzes seine Frau und Tochter in München aufzufinden. Sein großer Wunsch, die Familie so schnell wie möglich nach Amerika zu holen, zog sich in die Länge. Im Sommer 1946 hatten sie mithilfe amerikanischer Organisationen endlich alle Papiere beschafft. Das American Joint Distribution Committee übernahm die Kosten von 400 $ für die Überfahrt. Doch aufgrund eines Dockarbeiterstreiks in New York zog sich die Abreise noch bis ins nächste Jahr hin. Erst am 3. Januar 1947 konnten sie in Bremerhaven ablegen.
„Es war sehr schwer für mich, meine Adoptivfamilie zu verlassen und nach Amerika zu gehen“, schreibt Hannah Lantz (geb. Hannelore Bach) in ihren Erinnerungen, die sie im Januar 1994 zusammenfasste. „Schweren Herzens nahm ich Abschied. In Viehwaggons ging es nach Bremerhaven, wo wir in einem Lager auf ein Schiff warten mussten. Unglücklicherweise war zu dieser Zeit ein Dockstreik in New York, der unsere Reise um einige Monate verzögerte. Endlich ging es dann im Januar 1947 los. Alle 900 Mitreisenden auf der Erny Pyle waren Überlebende aus Konzentrationslagern, und es war schrecklich, zwei Wochen unter so vielen Leidgeprüften leben zu müssen. Während der Überfahrt hatten wir furchtbare Winterstürme und fast alle Passagiere wurden seekrank.“ (zitiert aus: Eleonore Philipp, „Gerettet“, S. 38)
Als Hannelore Bach acht Jahre alt war, hatte der Vater die Familie verlassen müssen. Als sie 15 Jahre war - nach mehr als sieben Jahren Trennung - fanden sie wieder zusammen.
Hannelore Bach fand sich schnell zurecht in der neuen Heimat, lernte Englisch, besuchte ein College, um die in Deutschland entgangene Schulbildung nachzuholen. Sie heiratete und lebte mit ihrem Mann Larry Lantz und zwei Kindern in Taylor/Michigan in der Nähe von Detroit. Nach dem Tod der Mutter 1981 lebte ihr Vater in ihrer Nähe und erfreute sich an den fünf Enkelkindern. Er starb 1995 hochbetagt im Alter von 98 Jahren.
Hannelore Lantz hielt zeitlebens den Kontakt zu ihrer Adoptivfamilie, besuchte mit ihrem Mann die „Geschwister“ in Niederroth alle paar Jahre und bekam auch Gegenbesuche von ihnen in Taylor.
Am 11. März 1999 starb Hannah Lantz in Southgate, Michigan in den Vereinigten Staaten.
Text und Recherche
Text: Museum Villa Stuck, überarbeitet von Irmtrud Beer
Quellen
Biografie Museum Villa Stuck
Arolsen Archives
Offenburger Tagblatt vom 14.11.1938
Internet
Literatur
Bernheim, Hanna (1895 - 1990): „History of my life”, Hrsg.: Benigna Schönhagen, Wilfried Setzler, Tübingen 2014
Philipp, Eleonore: Gerettet. Erinnerungen an zwei Familien im Nationalsozialismus. Familie Bach und Familie Gailer, Eigenverlag Dachau
Zentner, Kurt: Illustrierte Geschichte des Dritten Reiches, Südwest Verlag, München, 1965