Anneliese van Wien

 

Anneliese van Wien (Bild: Staatsarchiv München, PolDir 15373)

Geboren am 18. Dezember 1908 in München.

Deportiert am 20. September 1940 aus der Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar nach Hartheim bei Linz

Ermordet am 20 September 1940 in Hartheim

 

Elternhaus und Schulzeit

Anneliese van Wien kam am 18. Dezember 1908 in einer jüdischen Familie in München zur Welt. Sie war das mittlere von drei Kindern: Am 2. Januar 1906 wurde ihr Bruder Dietrich geboren, am 27. Dezember 1909 Robert Klaus. Ihr Vater, der Rechtsanwalt Bernhard van Wien, betrieb in der Bayerstraße eine gut gehende Anwaltskanzlei. Ihre Mutter Agathe van Wien, geb. Rosendorff, war Malerin und Kopistin.  

Anneliese besuchte von September 1919 bis März 1926 das Luisengymnasium. 1927 legte sie dort ihr Abitur ab. Das Lernen einer Sprache fiel ich offenbar leicht. Bemerkenswert war auch ihr Interesse an künstlerischen Fächern. Nicht nur war ihre Mutter Malerin, auch ihr Vater war Kunst- und Antiquitätenliebhaber. Sie wuchs in einer Wohnung auf, die mit Antiquitäten und Figurinen ausgestattet war und an deren Wänden zwischen Originalen bekannter Maler auch die von ihrer Mutter angefertigten Kopien berühmter Gemälde hingen.  

Mitte der 1920er Jahre erkrankte ihr Vater schwer. Er starb am 1. Marz 1927.  


1933 übernehmen die Nationalsozialisten die Macht

Annelieses älterer Bruder Dietrich hatte an der Ludwig-Maximilians-Universität Jura studiert und 1929 die staatlichen Prüfungen bestanden. Wo er seine Referendarjahre verbrachte, ist unbekannt. Eigentlich sollte er die Kanzlei seines Vaters übernehmen, doch im April entzogen die Nationalsozialisten allen jüdischen Rechtsanwälten und Rechtsanwältinnen die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Nur wer im Ersten Weltkrieg gekämpft hatte blieb davon verschont.  

Wann und wo Anneliese van Wien mit dem Studium der Pharmazie begann, lässt sich nicht feststellen. Lediglich aus der Studentenkartei der Ludwig-Maximilians-Universität München ist ersichtlich, dass sie vom Sommersemester 1933 bis zum Wintersemester 1943/35 dort studierte und am 23. Januar 1935 die Pharmazeutische Prüfung ablegte. Als Praktikantin arbeitete sie in der Theresien-Apotheke und ab 1. April 1935 in der Mohren-Apotheke im Tal, heute „Apotheke im Tal“.  

Im Oktober 1934 mietete ihre Mutter Agathe van Wien eine große Wohnung der Kaulbachstraße 33 und versuchte, mit der Vermietung von Zimmern den Lebensunterhalt der Familie zu sichern.  


Emigration nach Südafrika

Vielleicht waren die Ereignisse im Dezember 1935 ausschlaggebend für Anneliese van Wien, über eine Emigration nachzudenken. Am 14. Dezember 1935 starb ihr jüngerer Bruder Robert. Die Todesursache ist unbekannt. Nur drei Tage später verließ ihr älterer Bruder Dietrich München und baute sich in Aschaffenburg eine neue Existenz auf.

Weshalb Anneliese van Wien im Oktober 1936 nach Johannesburg emigrierte, lässt sich nicht mehr zurückverfolgen. Denkbar wäre, dass nach wie vor familiäre Verbindungen zur Familie ihres Vaters Bernhard und ihrer Großeltern David und Babette van Wien in Winschoten in den Niederlanden bestanden. Vielleicht waren Mitglieder der großen van Wien-Familie nach Südafrika ausgewandert. Bereits im 18. Jahrhundert ließen sich viele Niederländische Bauern, Buren, in der Region um Kapstadt nieder und breiteten sich im Laufe der Jahrzehnte bis zur Ostküste aus. Möglicherweise lebten Angehörige der Familie van Wien in Johannesburg.


Diagnose Schizophenie

Anneliese van Wien kehrte am 10. Juli 1938 nach einem Krankenhausaufenthalt nach München zurück und wohnte wieder bei ihrer Mutter. Vier Wochen später diagnostizierten die Ärzte eine „Geisteskrankheit“. Laut Städtischem Gesundheitsamt litt sie an Schizophrenie. Es folgte die Unterbringung in der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität. Am 19. September 1938 wiesen die Ärzte sie in die Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar ein, wo man sie am 23. März 1939 zwangssterilisierte. Sie war eine von etwa 400.000 Menschen, die vom „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ betroffen waren. Im September 1940 verlegten die Ärzte sie in eine „Sammelanstalt“, von der aus sie am 20. September mit 190 weiteren Jüdinnen und Juden in die Tötungsanstalt Schloss Hartheim bei Linz überführt und noch am gleichen Tag mit Kohlenmonoxid ermordet wurde. Sie war 31 Jahre alt. 


Schicksal ihrer Mutter und ihres Bruders

Agathe van Wien musste im Oktober 1941 die Zimmervermietung abmelden und die Wohnung verlassen. Sie erhielt eine Unterkunft in der Richard-Wagner-Straße 11, einem sogenannten Judenhaus.  Am 3. Juli 1942 wurde sie ins Ghetto Theresienstadt deportiert und zu einem unbekannten Zeitpunkt in das Vernichtungslager Treblinka. Vermutlich wurde sie unmittelbar nach ihrer Ankunft in einer der Gaskammern ermordet.

Dietrich van Wien heiratete in Aschaffenburg die Kaufmannstochter Anneliese Levi. Er war Photograph und Kaufmann. Am 2. Februar 1937 eröffnete er in Aschaffenburg ein Gewerbe als Photograph. Während der „Kristallnacht“ wurde er verhaftet und vom 10. November bis 5. Dezember 1938 inhaftiert. Sein Geschäft wurde zum 1. Januar geschlossen, er selbst meldete es drei Wochen später ab. Am 21. August 1939 emigrierte er mit seiner Frau auf dem Dampfer Hansa in die USA. Er starb am 19. Mai 1954 in Newark.  


Text und Recherche:

Ingrid Reuther

Quellen:

● Stadtarchiv München, EWK 38, Biographisches Gedenkbuch der Münchner Juden.

● Staatsarchiv München, WB I N 2306.

● Universitätsarchiv München, UAM Stud-Kart I, Anneliese van Wien und Dietrich van Wien.

● Universitätsarchiv München, UAM Stud-Kart I, Anneliese van Wien und Dietrich van Wien.

Literatur:

● Körner Peter, „Jetzt ist es mit Dir aus…“, Neustadt a.d. Aisch, 2019, S. 182, 185-186.

● Reuther Ingrid in: „Auf einmal da waren sie weg“, München 2017, S. 124-126.

● Selig Wolfram, „Arisierung“ in München, Berlin 2004, S. 712-713.

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Agathe van Wien, geborene Rosendorff

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Emma Wallach