Klara Nördlinger, geb. Hilb
Foto: Stadtarchiv Ulm
Geboren am 27. Februar 1878 in Ulm
Gestorben am 30. Juni 1940 in München
Herkunft und Heirat
Klara Nördlinger wurde am 27. Februar 1878 als Klara Hilb in Ulm geboren und war das jüngste der fünf Kinder der Eheleute Salomon und Sophie Hilb, geborene Schwab. Leopold, Lina, Rosa und Julius waren ihre Geschwister. 1885, als Klara Nördlinger sieben Jahre alt war, starb ihre Mutter. Drei Jahre später, 1888, heiratete der Vater ein zweites Mal. Aus dieser Ehe mit Melanie Weil stammte der Bruder Max.
Klara Nördlingers Vater Salomon wurde 1848 in Haigerloch als Sohn des Rabbiners Maier Hilb und seiner Frau Babette, geborene Schwab, aus Fellheim geboren. Zusammen mit seinem älteren Bruder Louis gründete Salomon Hilb die Textilgroßhandelsfirma „L. Hilb & Co - Baumwollwarenausrüstung en gros“ mit Sitz im Stadtzentrum Ulms, in der Wengengasse 15, gegenüber der Kirche St. Michael zu den Wengen. Die Firma wurde zu einer der bekanntesten Textilgroßhandlungen Süddeutschlands.
Max Nördlinger 1928 (Foto: privat, aus: G. Römer „Wir haben uns gewehrt“)
Am 28. Mai 1906 heiratete Klara Hilb den Rechtsanwalt Max Nördlinger, der am 13. Juni 1869 in Lindau geboren worden war und 1905 das Heimat- und Bürgerrecht der Stadt erhalten hatte. Von seinen Eltern hatte er das Haus in der Linggstraße 12 im Stadtkern auf der Insel geerbt. Er studierte in München Rechtswissenschaften und ließ sich nach dem Studium 1895 in seiner Heimatstadt Lindau als Rechtsanwalt mit einer eigenen Kanzlei nieder. Als mutiger Anwalt des Rechts gehörte er bald zu den einflussreichen Persönlichkeiten der Lindauer Stadtgesellschaft, der für alle Anliegen, die man an ihn herantrug, ein offenes Ohr hatte. In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg wurde er vielfach mit Scheidungsangelegenheiten betraut. Max Nördlinger war dafür bekannt, dass er in den meisten Fällen, bevor er vor Gericht ging, versuchte, die beiden Ehepartner dazu zu bewegen, es doch noch einmal miteinander zu versuchen. 1918 übernahm er die Aufgabe des Justiziars im Lindauer Arbeiter- und Soldatenrat und 1927 wurde er Vorsitzender des Lindauer Volksbildungsvereins, dem Vorläufer der heutigen Volkshochschule.
In Anerkennung seiner besonderen Verdienste um die Rechtspflege wurde er 1921 zum bayerischen Justizrat ernannt, ein Ehrentitel für Rechtsanwälte.
Familiengründung in Lindau
Am 27. Dezember 1909 wurde Klara Nördlingers erster Sohn Walter Joachim in Lindau geboren. Acht Jahre später, am 21. Juli 1917, kam ihr zweiter Sohn Werner Leopold in der Universitäts-Frauenklinik in München zur Welt. Sie brachte ihren zweiten Sohn in München zur Welt, weil sie in der schwierigen Zeit des Ersten Weltkrieges und in ihrem Alter - sie war jetzt 39 Jahre alt - unter besten Voraussetzungen entbinden wollte. Und in München lebte ihre Schwester Rosa Picard mit ihrer Familie.
Werner Nördlinger besuchte die Grundschule der Insel und anschließend sechs Jahre die Lindauer Lateinschule. 1930 feierte er in der Synagoge von Konstanz seine Bar-Mizwa. Da er kein Hebräisch gelernt hatte, lernte er die Textstelle aus der Tora auswendig, die er während der Feier vortragen musste. Ab 1933 besuchte Werner Nördlinger das humanistische Gymnasium der Benediktiner-Abtei St. Stephan in Augsburg, wo er 1936 das Abitur ablegte.
Familie Hilb, Foto: Stadtarchiv Ulm
1930 lebten sechzehn jüdische Einwohner - vier Familien - in Lindau. Sie kannten sich untereinander, pflegten aber kein gemeinsames religiöses Leben. Die Stadt hatte keine eigene Synagoge. Zum Synagogenbesuch mussten die Juden entweder nach Hohenems oder mit dem Schiff nach Konstanz fahren, oder sie handhabten es wie Max Nördlinger, der einmal in der Woche auf den Dachboden seines Hauses stieg, um im Gebet den Schabbat zu empfangen.
Angesichts ihrer überschaubaren Zahl von Mitgliedern waren die jüdischen Bürger Lindaus auf ein Miteinander mit der Stadtgesellschaft angewiesen und brachten sich ihrerseits aktiv in das wirtschaftliche, soziale, kulturelle und gesellschaftliche Leben der Stadt ein: als 1922 in der katholischen Kirche ein großer Brand ausbrach, gehörte Max Nördlinger zu den ersten, der zum Löschen zur Stelle war. Als Liebhaber der Musik Mozarts sang er im „Liederkranz“, dem Männergesangverein, mit und wurde sogar zum Ehrenmitglied ernannt. Für die örtlichen Zeitungen schrieb er Konzertkritiken.
Walter Nördlinger war Mitglied im Alpenverein Lindau und gab dem Sohn des Bürgermeisters, seinem Mitschüler, kostenlosen Nachhilfe-Unterricht in Mathematik.
Vortragsankündigung des Vereins für Fraueninteressen zum Thema „Respekt vor der Arbeit“ im Lindauer Tagblatt vom 18. März 1911
aus: Lindauer Frauengeschichte(n) - eine Skizze,
Eigenverlag Karl Schweizer, Lindau 2010
Klara Nördlinger engagierte sich im sozialen Leben der Stadt: mit bekannten Lindauer Bürgerinnen gründete sie im Jahr 1908 den „Verein für Fraueninteressen“ - eine bürgerliche Entsprechung zum örtlichen kirchlichen Frauenverein - und wurde eine der Beisitzerinnen des Vorstands. Der Verein richtete eine Bücherstube ein, die zum Grundstock für die spätere Volksbibliothek wurde und bot Vorträge an zu Themen wie: „Frauenbewegung und moderne Literatur“, „Die soziale Betätigung der Frau in der Kleinstadt“, „Wissenschaft und Technik im Haushalt“, „Respekt vor der Arbeit“. Die Lindauer Tageszeitung gab bekannt, dass Interessierte darüber hinaus Informationsmaterial und Broschüren zum Thema „Frauenbewegung“ bei Frau Nördlinger in der Linggstraße abholen können.
Lindau „unterm Hakenkreuz“
Antisemitische Hetze ist für Lindau schon einige Jahre vor der dezidiert nationalsozialistischen Propaganda belegt. Am 13. Dezember 1919 findet sich im Lindauer Tagblatt folgende Notiz: „Hetzplakate gegen die Juden prangten heute früh an verschiedenen Stellen der Stadt. Unterzeichnet waren die Plakate vom deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund“. Die Häuser jüdischer Mitbürger wurden nachts mit Zetteln beklebt, auf denen sie beschimpft und verleumdet wurden. Gegen diese frühen Hin- und Beweise antisemitischer Aktivitäten setzte sich Max Nördlinger engagiert zur Wehr.
Die erste öffentliche Veranstaltung des Schutz- und Trutzbundes mit dem angekündigten Thema „Die Judenfrage“ sollte am 3. Juni 1920 stattfinden. Vier jüdische Bürger, unter der Federführung von Rechtsanwalt Max Nördlinger, versuchten diese Versammlung, auf der ihrer Erfahrung nach zu Gewalttätigkeiten gegen die jüdischen Mitbürger aufgerufen wurde, in einem dringlichen Schreiben an den Stadtrat zu verhindern. Vergeblich. Um die gleiche Zeit tauchten die ersten Hakenkreuze im Stadtbild auf.
1922 gründete sich der Lindauer NSDAP-Ortsverband, und schon 1923 war Adolf Hitler in Lindau zu Besuch. 1931 bekam Lindau den ersten NSDAP-Oberbürgermeister Deutschlands.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 wurde Klara Nördlinger, die 1924 das Amt der Schriftführerin übernommen hatte, als „Volljüdin“ aus dem „Verein für Fraueninteressen“ hinausgedrängt. Zielgerade ging der Verein im Zuge der Gleichschaltung seiner Auflösung entgegen. Am 1. Januar 1936 war es so weit: „Die Ziele und Aufgaben des Vereins für Fraueninteressen deckten sich auffallend mit denen, welche die nationalsozialistische Bewegung der N.S. Frauenschaft zugewiesen hat… Wenn wir nun … den Verein auflösen, so geschieht es, weil wir das Ziel der nationalsozialistischen Führung, möglichst alle Frauenvereine in einer großen festgefügten Organisation zusammen zu fassen, verstehen und uns freiwillig einreihen wollen in das große Aufbauwerk unseres Führers Adolf Hitler!“ (zitiert aus Karl Schweizer: Lindauer Frauengeschichte(n) - Eine Skizze, S. 114.) Nach dieser Erklärung der Vereinsführerin wurde der durch bürgerschaftliches Engagement ins Leben gerufene Verein für Fraueninteressen eingegliedert in die straff organisierte NS-Frauenschaft.
Auch mit der Rechtsanwaltskanzlei ihres Mannes ging es bergab. Am 1. April 1933 stellten sich zwei bewaffnete Lindauer SA-Mitglieder vor der Kanzlei in der Linggstraße 12 als Wächter für den Juden-Boykott auf. Ein mutiger Lindauer Kollege, der Rechtsanwalt Franz Ebert, ignorierte die Wache und besuchte Max Nördlinger an diesem Tag demonstrativ in seiner Kanzlei. Für Ebert war es eine Geste der Wertschätzung für den befreundeten Kollegen, der ihn, als er 1929 als junger Anwalt nach Lindau kam, in die Gepflogenheiten und Eigenheiten des Lindauer Amtsgerichtes eingeführt hatte.
Am 2. Mai 1935 starb Max Nördlinger. Er fand seine ewige Ruhestätte auf dem jüdischen Friedhof in Laupheim, wo seine Eltern herkamen und auch beide begraben sind. Da ihre Rente nicht zum Leben ausreichte, verkaufte Klara Nördlinger, nach dem Tod ihres Mannes, im März 1936 das Gartengrundstück ihres Hauses für 17.000 Reichsmark an das Land Bayern. Der neue Eigentümer errichtete auf dem Grundstück einen Neubau für die Gestapo und die Grenzpolizei Lindau.
1939 zählte Lindau nur noch sechs jüdische Einwohner und im Februar 1945 gab es keinen einzigen jüdischen Bürger mehr in der Stadt.
Im März 1936 legte Klara Nördlingers Sohn Werner das Abitur ab. Der Schulleiter des St.-Stephan-Gymnasiums, Pater Dr. Gregor Lang, war ein Nazi-Gegner, der mutig Zeichen des Widerstands gegen das Regime setzte. Auf Anordnung des Reichsinnenministers vom 12. Juli 1933 hatte auf die gesungene oder gespielte Nationalhymne die quasi-offizielle Nationalhymne, das Horst-Wessel-Lied, zu folgen. Werner Nördlinger erinnert sich bei der 50-Jahr-Feier des Abiturs: „Bei unserer Abschlussfeier am 18. März 1936 im Kleinen Goldenen Saal wurde am Ende zunächst die ‚Deutschland über alles…‘-Hymne gespielt. Danach herrschte tödliche Stille. Alles wartet auf den Anfang des Horst-Wessel-Liedes. Aber es wurde nicht gespielt. Dafür hat unser damaliger Schulleiter Pater Dr. Gregor Lang gesorgt. Dazu gehörte viel Mut. Das habe ich mein Leben lang nicht vergessen.“ (zitiert aus Gernot Römer, „Wir haben uns gewehrt“, S. 20). 1939 wurde Pater Dr. Gregor Lang als Schulleiter von den Nationalsozialisten abgesetzt.
Letzte Lebensjahre in München
Klara Nördlinger, allein und vereinsamt in dem großen Haus - der Mann verstorben, die Söhne ausgewandert - an Krebs erkrankt und den Anfeindungen der Lindauer Nationalsozialisten ausgesetzt, beschloss, zu ihrer älteren Schwester Rosa nach München zu ziehen.
Rosa und ihr Mann Louis Picard waren eine angesehene Münchner Kaufmannsfamilie, die einen Textilgroßhandel mit 28 Angestellten in der Landwehrstraße 44 betrieben. Die Nationalsozialisten machten aus ihrem stattlichen Anwesen ein „Judenhaus“. Gemäß Nazi-Terminologie waren das Häuser, in die enteignete jüdische Personen auf engstem Raum zwangsumgesiedelt wurden. Es war nurmehr als vorläufige Unterkunft gedacht und vorgesehen als Zwischenstation vor der Deportation.
Einen Tag nach der „Reichskristallnacht“, am 10. November 1938, ließ sich Klara Nördlinger beim Einwohnermeldeamt in München mit ihrem neuen Wohnsitz im Judenhaus in der Landwehrstraße 44 registrieren.
Bis zum Jahresende 1938 musste sie als Jüdin noch einer neu verordneten Pflicht nachkommen, bei Unterlassen drohte Geld-, bzw. Gefängnisstrafe. Abgefasst von Hans Globke, dem späteren Staatssekretär Adenauers, hatte das Reichsinnenministerium am 17. August 1938 eine Verordnung zum Namensänderungsgesetz von Juden erlassen, um jüdische Deutsche anhand ihres Vornamens kenntlich zu machen. Demnach mussten Juden, sofern sie keinen Vornamen aus der eigens für diese Verordnung erstellten Liste vorgeschriebener jüdischer Vornamen trugen, den Zwangsnamen „Israel“ bzw. „Sara“ annehmen.
Aufgrund dieser Verordnung musste Klara Nördlinger ihre Geburts- und Heiratsurkunde in Ulm ändern lassen. Am 18. November 1938 wurde folgender Randvermerk auf ihrer Geburtsurkunde hinzugefügt:
Transkription: „Ulm am 18. November 1938.
Gemäß § 2 der 2. Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen vom 17. August 1938 hat das nebenbezeichnete Kind durch Erklärung vom 15. November 1938 mit der Wirkung vom 1. Januar 1939 ab zusätzlich den weiteren Vornamen Sara angenommen. Der Standesbeamte: Schmid.“
Dass diese Erklärung staatlich vorgegeben und behördlich erzwungen war, wurde durch die Wortwahl „angenommen“ kaschiert. Die Namensänderung musste bis zum 31. Januar 1939 der zuständigen Ortspolizeibehörde angezeigt werden, anderenfalls drohte eine Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten. Die Ortspolizeibehörden meldeten diese jüdisch gekennzeichneten Personen dann an die Staats-Polizei weiter, die nach diesen Angaben ein Juden-Register anlegte.
Stadtarchiv Ulm Geburtenbuch Nr. 159-1878 Karoline Hilb (Foto: Stadtarchiv Ulm)
Ein gutes Jahr später, ab dem 15. Dezember 1939, war Klara Nördlinger in der Goethestraße 54, der Pension Patria, gemeldet. Diese Pension galt als ein besseres „Judenhaus“, in dem die Bewohner für ihre Zwangsunterkunft zahlen mussten.
Noch aus Lindauer Zeiten hielt ein „arischer“ Freund ihrer Söhne, der Sohn des Tierarztes Dr. Öttler, Kontakt zu Klara Nördlinger und besorgte ihr, als der Krieg ausgebrochen war und die Versorgungslage für Juden besonders schwierig wurde, verbotenerweise Lebensmittel.
Tod
Am 30. Juni 1940 starb Klara Nördlinger, ausgezehrt von ihrer Krankheit und der permanenten Mangelernährung, im Israelitischen Kranken- und Schwesternheim in München.
Sie fand ihre ewige Ruhestätte auf dem Neuen Israelitischen Friedhof in der Garchinger Straße in München.
In Klara Nördlingers Familie und Verwandtschaft fielen bis 1945 zehn Menschenleben dem Naziterror zum Opfer.
Grabstein auf dem Neuen Israelitischen Friedhof in München: Sektion 16, Reihe 16, Grabnummer 12, Foto: privat
Der weitere Weg der Söhne
Klara Nördlingers älterer Sohn Walter wurde 1933 aus dem Referendariats-Dienst entlassen und floh mit seiner Frau Hannah (geb. Roos) vor den Nachstellungen des NS-Studentenbundes an der Münchner Universität nach Lindau. Dort bereitete er die Auswanderung vor. 1934 emigrierte er mit seiner Frau nach Haifa in Palästina. Von Palästina aus übersiedelten sie im April 1938 in die Vereinigten Staaten nach New York, wo Walter Nördlinger eine Stelle als Buchhalter annahm. Wie sein Bruder Werner diente auch Walter Nördlinger in der US-Armee, von April 1943 bis November 1945.
Ausreisedokument Werner Nördlinger, 23.Februar 1937 (Foto: Sammlung Schweizer, Lindau)
Werner Nördlinger als Soldat der US-Armee 1941 (Foto: privat,
aus: G. Römer „Wir haben uns gewehrt“
Nach dem Krieg wohnten die beiden Brüder in New York zusammen. In einem Dokument des Amtsgerichts München vom 14. Juni 1947 über den Nachlass ihrer Mutter sind die Brüder unter der gleichen New Yorker Adresse aufgeführt. Ihren Nachnamen hatten sie amerikanisiert in „Nordlinger“. Sehr früh verlor Walter Nördlinger seine Frau Hannah: sie starb mit 34 Jahren am 24. Januar 1948. Am 30. Dezember 1995, mit 86 Jahren, starb Walter Nördlinger in New York.
Nach seinem Einser-Abitur verweigerten Werner Nördlinger sowohl die Ludwig-Maximilians-Universität als auch die Technische Hochschule in München die Immatrikulation. Wie sein älterer Bruder fasste er daraufhin den Entschluss zu emigrieren. Um die Zeit zwischen Abitur und Auswanderung zu überbrücken, begann er eine Lehre in der Augsburger Textilfirma Landauer und wandte sich an das Weltstudentenwerk in Genf. Dieses gewährte ihm ein dreijähriges Stipendium an der Universität von Texas in Austin.
Im Februar 1937 - beim zweiten Versuch - gelang es Werner Nördlinger, von der Polizeidirektion Augsburg einen Ausreisepass zu bekommen. Am 25. März 1937 - am Pessachfest - verließ er mit 59,30 Reichsmark und einem Stipendium für ein Studium in Amerika in der Tasche als Letzter aus der Familie seine Mutter und sein Geburtsland. Von 1937 bis 1940 studierte er in Austin Mathematik, Physik und Geophysik mit dem Abschluss „magna cum laude“ und arbeitete dann als Wirtschaftsprüfer.
Im Februar 1941 wurde er zum Militärdienst einberufen. Er diente sich, stationiert in England und Frankreich, vom Rekruten bis zum Oberstleutnant hoch. Aufgrund seiner Kenntnisse über Europas Geografie gehörte er im Zweiten Weltkrieg zum Stab im Hauptquartier der alliierten Streitkräfte. 1945 war er an der militärischen Befreiung Münchens beteiligt, wo er 28 Jahre zuvor geboren worden war.
Nach dem Krieg arbeitete er viele Jahre bei der NATO, fand schließlich in Frankreich eine neue Heimat, heiratete und gründete eine Familie mit drei Kindern. Er arbeitete in der Nähe von Paris als Unternehmensberater.
Hochbetagt - mit knapp 103 Jahren - ist Werner Nördlinger am 13. Juli 2020 gestorben.
Das Haus in Lindau
ehemaliges Haus der Familie Nördlinger in der Linggstraße 12 in Lindau nach dem Verkauf
Foto: Sammlung Schweizer, Lindau
1942 wollte die Oberfinanzdirektion München das Haus von Klara Nördlinger in der Linggstraße 12 in Lindau samt Grundstück „zu Gunsten des Reiches“ enteignen. Dieses Vorhaben wurde jedoch vereitelt aufgrund der zwei im Ausland lebenden rechtmäßigen Erben, der Söhne Walter und Werner Nördlinger.
Nach dem Krieg, 1949, haben die Erben das Elternhaus in Lindau verkauft. Beide hatten Deutschland den Rücken gekehrt und sich in den Vereinigten Staaten bzw. Frankreich eine neue Existenz aufgebaut.
Text und Recherche
Museum Villa Stuck, überarbeitet von Irmtrud Beer
Quellen
Biografie Museum Villa Stuck
Arolsen Archives
Lindauer Zeitung vom 7.11.2000
Lindauer Zeitung vom 8.11.2010
Stadtarchiv Ulm, Familienregister Band 8 Blatt 208.
Stadtarchiv Ulm, Geburtenbuch Nr 159-1878 Karoline Hilb.
Stadtarchiv Ulm, Heiratsbuch Nr. 174-1906 Max Nördlinger u Karoline Klara Hilb.
Internetquellen
https://gedenkbuch.muenchen.de/index.php?id=gedenkbuch_link&gid=13772 Biographisches Gedenkbuch der Münchner Juden 1933-1945, Eintrag zu Klara Nördlinger, zuletzt aufgerufen am 8.6.2025.
www.kultur-lindau.de/museum/museumsblog-lindau/detail/stadtgestalten-05
www.sueddeutsche.de/muenchen/pension-patria-goethestrasse-54-villa-stuck-ns-zeit
de.wikipedia.org/wiki/Geschichte der Juden in Lindau (Bodensee)
de.wikipedia.org/wiki/Namensänderungsverordnung
de.wikipedia.org/wiki/Horst-Wessel-Lied
www.kultur-lindau.de/kulturlindau/allgemein/1000859 Gedenkweg Station 15
Literatur
Reinhard Weber "Schicksal jüdischer Rechtsanwälte in Bayern", Oldenbourg Verlag 2006, S. 249.
Bergmann, Ingo (Hg.): Und erinnere dich immer an mich. Gedenkbuch für die Ulmer Opfer des Holocaust, Ulm 2009.
Schweizer Karl: Jüdisches Leben und Leiden in Lindau, Eigenverlag Karl Schweizer, Lindau 1989.
Schweizer Karl: Lindauer Frauengeschichte(n) - Eine Skizze, Eigenverlag Karl Schweizer, Lindau 2010.
Gernot Römer: „Wir haben uns gewehrt - Wie Juden aus Schwaben gegen Hitler kämpften und wie Christen Juden halfen”, Presse-, Druck- und Verlags GmbH Augsburg, 1995.