Dr. Max Hirschfelder

 

Max Hirschfelder (Bild: Familienbesitz)

Geboren am 12. September 1910 in München

Emigrierte am 22. Mai 1936 in die USA

Gestorben am 6. Oktober 2003 in St. Louis, Missouri, USA

 

„Wenn es die Nazis nicht gegeben hätte, würde ich höchstwahrscheinlich noch heute in Deutschland leben“  schrieb Max Hirschfelder 1995. Als er für seine Familie auf 16 Seiten die Geschichte seines Lebens niederschrieb war er 84 Jahre alt. Er war seiner Heimat München noch immer tief verbunden und es war ihm ein Anliegen, dass seine Nachfahren wussten, wo die Wurzeln der Familie liegen.

Herkunft

Max Kurt Hirschfelder wurde am 12. September 1910 in München geboren. Er war das einzige Kind von Heinrich und Jela Hirschfelder. Beide stammten aus Württemberg. Heinrich Hirschfelder wurde am 5. Dezember 1876 in Rexingen geboren (heute ein Stadtteil von Horb), Jela Levy – auch Johanna genannt – am 16.September 1882 in Stuttgart. Ein Jahr vor Max Hirschfelders Geburt heirateten sie am 4. Juli 1909 in Stuttgart.

Goethestraße 74 in den 1920-igern (Bild: Familienbesitz)

Nach der Eheschließung zog das Paar nach München in die Goethestraße 74. Das Haus lag direkt am Goetheplatz. Heinrich Hirschfelder lebte vermutlich bereits seit mindestens Anfang 1904 in München. Den Familienunterhalt verdiente er mit dem Verkauf von Zubehör für Schneidereien.


Kindheit und Schulzeit in München

In seiner Lebensgeschichte berichtet Max von verschiedenen Ferienaufenthalten bei den Großeltern väterlicherseits bzw. seinem Onkel Salo[mon] in Rexingen, wo er bei der Weizen- und Heuernte mithalf. Auch besuchte er in den Ferien oft seine Tante Hermine Levy, eine Schwester seiner Mutter, und ihren Mann Rudolf. Sie hatten keine eigenen Kinder und behandelten ihn wie einen Sohn. Er durfte sie sogar auf verschiedene Reisen nach Bad Kissingen oder Baden-Baden begleiten.

Nicht nur die Ferien sind Max Hirschfelder in guter Erinnerung geblieben. Er erinnerte sich auch daran, dass er seinen Vater öfter im Geschäft am Rindermarkt besuchte und sie dann gemeinsam einem Kaffeehaus oder dem nahegelegenen Ratskeller einen Besuch abstatteten. So manchen Sonntag verbrachte der Vater in der Nähe von Freising, wo er mit seinem Bruder Simon und Freunden eine Jagd unterhielt. Max konnte der väterlichen Jagdleidenschaft wenig abgewinnen. Er erzählte, wie er einmal einen Hasen erlegte, sich danach aber so schlecht fühlte, dass er nie wieder auf ein Tier schoss. Gerne machte die Familie an Sonntagen auch Ausflüge mit dem Fahrrad zum Starnberger See oder zum Ammersee. Zur Schule ging er in das in der Nachbarschaft gelegene Theresien-Gymnasium, das es heute noch gibt.  

Bild: Max Hirschfelder um 1926, Quelle: Staatsarchiv München, Pol. Dir. 14008

 

Theresiengymnasium München (Bild von Ottmar Zieher,gestorben 1924 in München)

In den frühen 1920er Jahren teilte er sein Zimmer für einige Jahre mit seinem Cousin Victor. Victor war neun Jahre älter und der Sohn seines Onkels Salomon. Er übernahm später das Geschäft seines Onkels Simon in München.

Max Hirschfelder war 18 Jahre alt als sein Vater am 9. Februar 1929 mit nur 53 Jahren starb. Er wurde auf dem Neuen Israelitischen Friedhof begraben. Seine Mutter sicherte sich damals die Grabstelle neben ihrem Mann. Ihr Wunsch, neben ihm begraben zu werden, erfüllte sich jedoch nicht.


Studium der Medizin

Dr. Max Hirschfelder ganz links um 1930, Studentenverbindung Licaria (Bild: Hirschfelder Familie)

Im März 1929 bestand Max Hirschfelder sein Abitur und nahm ab dem Sommersemester 1929 an der Ludwig-Maximilians-Universität in München das Studium der Medizin auf. Er war während seines Studium Mitglied in der Licaria, einer 1895 gegründeten Münchener Verbindung deutscher Studenten jüdischen Glaubens, die zum Kartell-Convent der Verbindungen deutscher Studenten jüdischen Glaubens gehörte.  

Für zwei Semester wechselte er an die Universität in Bonn, wo er sich am 27. Oktober 1930 immatrikulierte. In seinen späteren Aufzeichnungen berichtet er, dass er die Zeit in Bonn u.a. dazu nutzte, mehrfach seinen Onkel Isidor Kurt Hirschfelder zu besuchen, der in Krefeld Kinderarzt war. Er erzählt auch von Badeausflügen an den Rhein, dem „5-Uhr-Tee“ mit jungen Damen im legendären Hotel Dreesen oder

dem rheinischen Karneval. Zum  31. Juli 1931 wurde er in Bonn exmatrikuliert und setzte sein Studium in München fort. Für das Sommersemester 1932 wechselte er nochmals die Hochschule. Er studierte in diesem Semester an der Medizinischen Fakultät der Universität in Wien. Auch hier wusste er, das Studium der Medizin mit den schönen Seiten des Lebens zu verknüpfen. Er erinnerte sich später an verschiedene Opernbesuche oder einen Besuch des Gastspiels der berühmten Josephine Baker.  

Die staatliche Prüfung zum Arzt bestand er am 22. Dezember 1934 und am 14. Februar 1935 legte er die Doktorprüfung ab. Als Jude machte es ihm Deutschland jedoch unmöglich, das Praktische Jahr als Arzt zu beginnen bzw. daran anschließend als Assistenzarzt zu arbeiten, was Voraussetzung für eine spätere Approbation war. Um als Arzt arbeiten zu können, ging er in die Schweiz. An der Universität in Bern bestand er nochmals das Doktorexamen und absolvierte anschließend sein Praktisches Jahr als Mediziner an der Augenklinik. Dieses Diplom ermöglichte ihm später eine ärztliche Tätigkeit im Ausland.

Das Doktordiplom der Universität München, das er bereits 1935 erworben hatte, wurde ihm im April 1938 per Post zugestellt. Er musste dazu seine inzwischen erworbene amerikanische Arzt-Lizenz vorweisen und schriftlich auf eine Approbation in Deutschland verzichten.


Emigration

Da er in Deutschland als Arzt nicht praktizieren durfte, entschloss er sich zur Auswanderung. Am 22. Mai 1936 meldete er sich nach Chicago ab. An Bord der SS Aquitania erreichte er am 9. Juni 1936 den Hafen von New York.  

Am 24. Juli 1939 wurde ihm die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt.

Max Hirschberger an Bord der SS Aquitania (Bild: Familienbesitz)


Entzug der Doktorwürde

Vier Jahre nach seiner Emigration entzog ihm die Ludwig-Maximilins-Universität am 10. April 1940 den Doktorgrad. Allein an diesem Tag verloren 12 Akademiker in München den Doktorgrad. Insgesamt verloren bis 1945 etwa 2.000, zumeist jüdischen Akademikern, die an deutschen Hochschulen erworbenen Doktortitel.

Möglich machte dies das „Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit“. Danach konnten „Reichsangehörige[n], die sich im Ausland aufhalten“ ihrer „deutschen Staatsangehörigkeit für verlustig erklärt werden“, wenn sie „gegen die Pflicht zur Treue gegen das Reich verstoßen haben“. Die Emigration jüdischer Deutscher galt als Verstoß gegen diese „Treue“. Die deutschen Universitäten nahmen das Gesetz zum Anlass, die Promotionsordnungen zu ändern mit der Begründung, „emigrierte Landesverräter“ seien nicht würdig, einen deutschen Doktortitel zu tragen. Der Ausbürgerung folgte automatisch die Aberkennung der Doktorwürde.


Ein erfolgreiches Leben in den USA

Schon wenige Wochen nach seiner Ankunft in Chicago fand er eine Arztstelle bei einem Augen- und Ohrenarzt. In Chicago begegnete Max Hirschfelder, im Juli 1936, das erste Mal Edith Hirsch. Sie stammte aus Winnetka, einem Vorort von Chicago, und war amerikanische Staatsbürgerin deutscher Abstammung. In der folgenden Zeit sahen sie sich öfter und verliebten sich ineinander. Am 19. Februar 1938 heirateten sie in Winnetka.

Max Hirschfelder hatte die Aufgabe, sich um fünf auf Bindehautentzündungen spezialisierte Augenklinken zu kümmern. Die Kliniken lagen im Süden von Illinois. Während dieser Zeit lebte das frisch vermählte Paar in einer kleinen Wohnung in Harrisburg. 1940 ließen sie sich in Centralia, Illinois, nieder, wo Max Hirschfelder eine Augenklinik leitete. 

Inzwischen hatte Dr. Hirschfelder die amerikanische Staatsbürgerschaft erworben. Dies  und die feste Beschäftigung ermöglichten es ihm, für seine Mutter ein Affidavit, eine Bürgschaft, abzugeben. Damit verpflichtete er sich, notfalls für ihren Unterhalt aufzukommen. Nur so war es seiner Mutter Johanna Hirschfelder möglich, ein Visum für die USA zu bekommen. Am 8. April 1941 erreichte seine Mutter den New Yorker Hafen. Sie lebte zunächst bei ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter. 

1942 kam der erste Sohn, Dennis, von Max und Edith Hirschfelder zur Welt. Die Geburt des zweiten Sohnes, Kent, erlebte Johanna Hirschfelder nicht mehr. Sie starb am 26. August 1944 in Centralia, Illinois, an einem Herzleiden.  

In den 1970er und 1980er Jahren unternahm Max Hirschfelder mit seinen Söhnen einige Reisen nach Deutschland. Es war ihm ein Anliegen, seinen Söhnen zu zeigen, wo die Wurzeln der Familie liegen. So nahm er z.B. 1979 an der 50. Abiturfeier „seines“ Theresien-Gymnasiums teil und schrieb ausführlich in der Zeitschrift München Mosaik über die „Verlorene Heimat“.  

1991, nach 51 Jahren, verließ das Ehepaar Hirschfelder Centralia, um den Ruhestand in St. Louis, Missouri, zu verbringen. Am 6. Oktober 2003 starb Max Hirschfelder im Alter von 93 Jahren. Edith Hirschfelder starb am 18. Juni 2009. Sie waren 65 Jahre miteinander verheiratet.


Schicksal der Familienangehörigen:

  • Max Hirschfelders Cousin Victor Hirschfeld, der Sohn seines Onkels Salo, (geboren am 26. Oktober 1901 in Rexingen), heiratete am 20. März 1928 in München die aus Nördlingen stammende Irene Lemle. Ihre Tochter Ruth Ursula wurde am 1. Dezember 1930 in München geboren. Alle drei konnten emigrieren und erreichten am 28. März 1939 den Hafen von New York.

  • Sein Onkel, Dr. Isidor, später Kurt Hirschfelder (geboren am 11. März 1878 in Rexingen) besaß ab 1906 in Krefeld eine sehr erfolgreiche Praxis als Kinderarzt. Wegen der drohenden Deportation nahm er sich am 29. Oktober 1941 das Leben. Er erwarb sich große Verdienste um die Kleinkinder und Säuglingspflege. Heute erinnern an ihn noch eine Gedenktafel an der Kinderklinik, eine Stiftung sowie die Hirschfelder Straße und der Hirschfelder-Platz.

  • Seine Tante Hermine Levi, geboren am 21. November 1873, verstarb am 14. Februar 1941. Ihr Mann Rudolf Levi, geboren am 21. November 1873, war Vorstandsvorsitzender der Hechinger Zwirnerei und Nähfadenfabrik Julius Levi & Co. AG. Zeitweise war er als Präsident der Handelskammer tätig. Er wurde am 22. August 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo er am 22. Oktober 1942 ums Leben kam. In Stuttgart erinnert ein Stolperstein an das Schicksal des Ehepaars.

  • Sein Onkel Moritz Hirschfelder (geboren am 17. Juni 1874 in Rexingen) hatte nach den Erinnerungen von Max Hirschfelder eine leichte Behinderung. Er war nicht verheiratet, arbeitete und lebte bis 1939 bei einem Viehhändler in Rexingen, von wo er zunächst in ein jüdisches Altersheim in Herrlingen bei Ulm kam. Die Lebensumstände in Herrlingen waren schwierig, da das Haus bei der Lebensmittelversorgung benachteiligt wurde. Aus welchen Gründen er in die Israelitische Heil- und Pflegeanstalt (Jacoby`sche Anstalt), die überwiegend für jüdische „Nerven- und Gemüthskranke“ fungierte, kam, ist unbekannt. Gemeldet war er in Bendorf-Sayn ab dem 5. Mai 1941. Knapp ein Jahr später verstarb er dort am 25. April 1942. Zwischen März und November 1942 wurden die noch lebenden Patienten und das Pflegepersonal der jüdischen Heil- und Pflegeanstalt Bendorf-Sayn in Vernichtungslager deportiert. Seine vor ihm verstorbenen Brüder Simon und Isidor wollten ihren Bruder Moritz gut versorgt wissen und hatten in ihren Testamenten entsprechende Regelungen getroffen.


Firma Hirschfelder

Zum 15. Januar 1904 schieden Karl Doll und Michael Hirschbihl aus ihrer Firma Doll & Hirschbihl, Schneiderfurniturengeschäft en gros und en detail, aus,, Das Geschäft war in der Kaufingerstraße angesiedelt. Es übernahmen neue Gesellschafter: Josef Weinberger und Heinrich Hirschfelder. Ob er dieses Geschäft übernommen und unbenannt hat, ist unklar. Im Adressbuch von 1914 hieß die Firma „Hirschfelder & Co.“ und war dann am Rindermarkt 8 zu finden. Die ersten Jahre war sein Bruder Simon Hirschfelder Mitinhaber, der zusätzlich Teilhaber der Firma Eduard Höchstädter Nachfolger (Ledergroßhandlung) war. Sohn Max erinnerte sich später, dass die Firma seines Vaters drei Außendienstmitarbeiter beschäftigte, die nur für den Vertrieb im süddeutschen Raum zuständig waren.  

Nach dem Tod  Heinrich Hirschfelder 1929 übernahm im April 1929 ein traditionsreicher Mitbewerber, die Firma Anton Röckenschuss s.W., das Unternehmen. Inhaber war der Kaufmann Gustav Schmidt. Das neue Unternehmen firmierte dann als „Hirschfelder & Co. – Anton Röckenschuss s.W.“.

Die Geschäftsräume der beiden Unternehmen werden zusammengelegt. Der Rindermarkt 8 wurde aufgegeben und das Unternehmen an den Rindermarkt 23 umgesiedelt. Wie auch heute noch üblich, führte man anlässlich der Ortsverlegung einen Räumungsverkauf durch. Die Geschäfte liefen dann aber scheinbar nicht sehr gut, da der neue Besitzer im April 1932 ein Vergleichsverfahren durchlaufen musste. Die Firma musste Kosten sparen und zog in ein deutlich kleineres Ladenlokal in der Sonnenstraße 24 um. Auch diesen Umzug nutzte man für einen Räumungsverkauf. Danach scheint es, sind wieder bessere Zeiten eingekehrt. Am 1 Februar 1937 feierte die Firma das 125-jährige Bestehen. Man beantragte bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) die Genehmigung eines Jubiläumsverkaufes. 1952 gratulierte die IHK noch zum 150-jährigen Firmenjubiläum und dem Seniorchef Gustav Schmidt zum 60-jährigen Berufsjubiläum.


Text und Recherche

  • Stefan Dickas

Quellen

  • Staatsarchiv München, Pol.Dir. 14007 und 14008.

  • Max Hirschfelder: Die Geschichte der Familie Hirschfelder, USA im Februar 1995.

  • Stadtarchiv München, DE-1992-ZA-P-0207-57, Presseartikel in der Abendzeitung vom 29.03.1979 über Dr. Max Hirschfelder.

  • Universitätsarchiv München, Studentenkartei und G-VIII-1, Bd. 3c sowie Sen-II-149.

  • Universitätsarchiv Bonn, Auskunft vom 17.1.2023

  • Universitätsarchiv Wien, Auskunft vom 2.2.2023.

  • Staatsarchiv Bern, Signaturen BB IIIb 1168 und BB IIIb 1199.

  • Bayerisches Wirtschaftsarchiv, K1 IX B 66a, Akt 15, Fall 27 Ausverkaufswesen, K1 IX B 52a, Akt 61, Fall 1 Vergleichsverfahren, K1 IX B 66a, Akt 27, Fall 30 Ausverkaufswesen, K1 IX B 66a, Akt 36, Fall 28 Ausverkaufswesen und K1.5 / 1983.

  • Bayerisches Hauptstaatsarchiv, LEA 75303.

Internet

Literatur

  • Harrecker Stefanie, Degradierte Doktoren - Die Aberkennung der Doktorwürde an der Ludwig-Maximilians-Universität München während der Zeit des Nationalsozialismus, Utzverlag, 2007.

  • Jäckle Renate, Schicksale jüdischer und "staatsfeindlicher" Ärztinnen und Ärzte nach 1933 in München: Ergebnisse des Arbeitskreises: "Faschismus in München - aufgezeigt am Schicksal der aus rassischen und, oder politischen Gründen verfolgten Opfer in der Münchner Ärzteschaft", Verlag Das Freie Buch, 1988.

  • Selig Wolfram: „Arisierung“ in München, Die Vernichtung jüdischer Existenzen 1937-1939, Metropol Verlag,Berlin 2004.



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