Das Hildebrandhaus

Eine Künstlervilla mit einer besonderen Geschichte

 

Porträt des Bildhauers Adolf von Hildebrand, 1912
Foto: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hildebrand-adolf-1912-photographische-korrespondenz-nr616-s012.jpg

Wittelsbacher Brunnen am Maximiliansplatz, Foto: privat

Das Hildebrandhaus, Foto: privat

Mitte des 19. Jahrhunderts waren Krankheiten wie Cholera oder Typhus in München keine Seltenheit. Dank Max von Pettenkofer beschloss man, die Trinkwasserversorgung zu verbessern. Die Wahl für eine „gesunde“ Wasserversorgung fiel auf das Mangfalltal. Im Jahre 1883 sollte zu Ehren der Vollendung der Städtischen Wasserversorgung auf den Resten der ehemaligen Stadtmauer ein Brunnen entstehen. Den Wettbewerb zur Gestaltung des Brunnens gewann Adolf von Hildebrand (1847 – 1921). Er war um 1900 einer der bedeutendsten Bildhauer Deutschlands. International galt er als der Gegenspieler Auguste Rodins (1840 – 1917). Die Vergabe des Auftrags für den Bau des Brunnens am Maximiliansplatz war allerdings mit einer Auflage verbunden. Der in Italien lebende Künstler Hildebrand musste einen Wohnsitz in München haben.


Adolf von Hildebrand entwarf daraufhin eine Villa und beauftragte Gabriel von Seidl mit deren Errichtung in der Maria-Theresia-Straße 23 in Bogenhausen. Das sogenannte Hildebrandhaus entstand in den Jahren 1895 bis 1898.


Von 1898 bis 1921 wohnte Adolf von Hildebrand mit seiner Frau und den sechs Kindern in seinem repräsentativen Wohn- und Atelierhaus am Münchner Isarhochufer. Als er und seine Frau im Jahre 1921 starben, vererbten sie die Villa an ihre Kinder Dietrich von Hildebrand und Irene Georgii, die beide noch in dem Haus wohnten. Als Dietrich von Hildebrand, der schon in den zwanziger Jahren zu den Kritikern des Nationalsozialismus und Hitlers zählte, nach der Machtergreifung emigrierte, konnte seine Schwester das Haus allein nicht halten und es wurde im Sommer 1933 verkauft.


Elisabeth Braun (1887 – 1941) war die Tochter einer alteingesessenen Kaufmannsfamilie in München. 1920 verließ sie die Israelitischen Kultusgemeinde und trat der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern bei. Sie legte beide Lehrerinnenexamina ab und studierte zunächst Philosophie- und Staatswissenschaften und später auch Jura. Als Beruf gab sie Schriftstellerin an, es ist jedoch nichts von dieser Tätigkeit überliefert.

Nach dem Tod ihres Vaters erbte Elisabeth Braun 1929 ein Vermögen und kaufte im Jahre 1934 das Hildebrandhaus für 62.280 Mark. Sie lebte seit 1927 am Tegernsee und zog erst 1938 in die Villa. Elisabeth Braun bot von 1937 bis 1941 in ihrem Haus 15 Menschen Obdach, die von den Nationalsozialisten verfolgt wurden. Charlotte Carney, Käthe Singer und Valerie Theumann waren jüdischer Abstammung und zum christlichen Glauben konvertiert. Ob alle Bewohner Konvertierte waren, ist nicht überprüfbar. Die folgende Liste der Bewohner ist nach dem Datum des Einzugs im Hildebrandhaus sortiert.


Die Bewohner des Hildebrandhauses

Rosa Braun (Stiefmutter und Tante von Elisabeth Braun)
Witwe, geboren am 12. Dezember 1870 in Lauchheim,
deportiert am 1. Juli 1942 nach Theresienstadt,
ermordet am 4. März 1945 in Theresienstadt
• ab 18. Oktober 1934 Maria-Theresia-Straße 23
• seit 17. August 1941 Internierungslager Clemens-August-Straße 9
(Stadtarchiv München, DE-1992-KKD-0479 CC BY-ND 4.0)


Charlotte Carney, geb. Lewin
Lehrerin, geboren am 17. August 1900 in Berlin,
deportiert am 13. März 1943 in das Konzentrationslager Auschwitz
ermordet am 30. April 1943 im Konzentrationslager Auschwitz
• ab 16. Januar 1937 Maria-Theresia-Straße 23
• seit 21. Oktober 1941 Internierungslager Clemens-August-Straße 9
(Stadtarchiv München, DE-1992-KKD-0538 CC BY-ND 4.0)
(ausführliche Biografie: https://www.erinnerungswerkstatt-muenchen.de/biografien/carney-charlotte)


Elisabeth Braun
Schriftstellerin, geboren am 24. Juli 1887 in München,
deportiert am 20. November 1941 nach Kaunas,
ermordet am 25. November 1941 in Kaunas
• ab 30. November 1938 Maria-Theresia-Straße 23
• seit 17. August 1941 Internierungslager Clemens-August-Straße 9
(Stadtarchiv München, DE-1992-KKD-0471 CC BY-ND 4.0)


Valerie Theumann
Gesangslehrerin, Sängerin u. Schriftstellerin, geboren am 19. Mai 1875 in Wien, ledig,
deportiert am 3. Juli 1942 nach Theresienstadt,
ermordet in Treblinka.
• ab 25. Juli 1939 Maria-Theresia-Straße 23
• seit 15. Oktober 1941 Internierungslager Clemens-August-Straße 9
(Stadtarchiv München, DE-1992-KKD-4239 CC BY-ND 4.0)


 

Helene Sulzbacher, geb. Weichselbaum (kein Foto vorhanden),
geboren am 18. Februar 1876 in Geldersheim, verheiratet,
deportiert am 14. September 1942 aus Berlin nach Theresienstadt,
ermordet in Auschwitz.
• ab 1. August 1939 Maria-Theresia-Straße 23
• Abgemeldet am 7. August 1939 nach Berlin
(Alle anderen hier genannten sind aus München deportiert worden.)


Heinemann Edelstein
Hauptlehrer i. R., Kantor, Schochet, geboren am 7. September 1870 in Unterriedenberg, Kr. Brückenau, verheiratet,
deportiert am 1. Juli 1942 nach Theresienstadt,
ermordet am 10.06.1944 in Theresienstadt
• ab 8. August 1939 Maria-Theresia-Straße 23
• seit 15. August 1941 Bürkleinstraße 16
(Stadtarchiv München, DE-1992-KKD-0643 CC BY-ND 4.0)


Jeanette Edelstein, geb. Kahn
geboren am 16. Juni 1874 in Oberaltertheim, Kr. Würzburg, verheiratet,
deportiert am 1. Juli 1942 nach Theresienstadt,
ermordet am 6. Februar 1943 in Theresienstadt
• ab 8. August 1939 Maria-Theresia-Straße 23
• seit 15. August 1941 Bürkleinstraße 16
(Stadtarchiv München, DE-1992-KKD-0644 CC BY-ND 4.0)


Lilly Rosenthal, geb. Rothschild
Modistin, Geschäftsinhaberin, geboren am 24. März 1889 in München, geschieden,
deportiert am 20. November 1941 nach Kaunas,
ermordet am 25. November 1941 in Kaunas
• ab 8. September 1939 Maria-Theresia-Straße 23
• seit 15. Oktober 1941 Internierungslager Clemens-August-Straße 9
(Stadtarchiv München, DE-1992-KKD-3456 CC BY-ND 4.0)


Victor Behrend
Textilkaufmann, Pensionist, geboren am 18. Juni 1878 in Neu-Stettin, ledig,
deportiert am 4. April 1942 nach Piaski,
ermordet in Piaski.
• ab 12. September 1939 Maria-Theresia-Straße 23
• seit 12. August 1941 Thierschstraße 4
(Stadtarchiv München, DE-1992-KKD-0257 CC BY-ND 4.0)


 

Käthe (Katharina) Singer
Opernsängerin, geboren am 15. Oktober 1885 in Wien, ledig, deportiert am 20. November 1941 nach Kaunas,
ermordet am 25. November 1941 in Kaunas
• ab 29. September 1939 Maria-Theresia-Straße 23


 

Franziska Fanny (Feige Dwora) Schmikler, geb. Bader
Kauffrau, geboren am 8. September 1878 in Sniatyin, Ostgalizien (heute: Snjatin, Ukraine), verwitwet,
deportiert am 20. November 1941 nach Kaunas,
ermordet am 25. November 1941 in Kaunas
• ab 4. Juni 1940 Maria-Theresia-Straße 23


 

Maria Medi Schmikler
geboren am 20. April 1911 in München, ledig,
deportiert am 20. November 1941 nach Kaunas,
ermordet am 25. November 1941 in Kaunas
• ab 4. Juni 1940 Maria-Theresia-Straße 23, bei den Eltern


 

Simon Schmikler
Kaufmann, geboren am 26. April 1883 in Hlinitza, Bukowina (heute: Hlinita, Ukraine), verheiratet,
gestorben am 3. Oktober 1941 in München
• ab 4. Juni 1940 Maria-Theresia-Straße 23


Jetti (Jittel) Neumann, geb. Hacker
Damenschneiderin, Vermieterin, geboren am 12. November 1875 in Raiding (Doborjan), Com. Oedenburg, Ungarn, verwitwet,
gestorben am 21. November 1941 in München
• ab 21. Oktober 1940 Maria-Theresia-Straße 23
• seit 16. August 1941 Baumkirchner Straße
(Stadtarchiv München, DE-1992-RPJ-B-55 CC BY-ND 4.0)


Albert Marx [Bruder von Klara Rosenfeld]
Textilkaufmann, geboren am 5. Februar 1874 in Oberdorf, Kr. Aalen/Neresheim, verheiratet,
deportiert am 15. Juli 1942 nach Theresienstadt,
ermordet in Auschwitz.
• ab 5. Mai 1941 Maria-Theresia-Straße 23
• Reichenbachstraße 27 (seit 16. August 1941)
(Stadtarchiv München, DE-1992-KKD-2642 CC BY-ND 4.0)


Sophie Marx, geb. Rosenfeld [Tochter von Klara Rosenfeld]
geboren am 24. Oktober 1888 in Olnhausen, Kr. Heilbronn, verheiratet,
deportiert am 15. Juli 1942 nach Theresienstadt,
ermordet in Auschwitz.
• ab 5. Mai 1941 Maria-Theresia-Straße 23
• seit 16. August 1941 Reichenbachstraße 27
(Stadtarchiv München, DE-1992-KKD-2687 CC BY-ND 4.0)


Klara Rosenfeld, geb. Marx
geboren am 23. September 1862 in Oberdorf, Kr. Aalen/Neresheim, verwitwet,
deportiert am 10. Juni 1942 nach Theresienstadt,
ermordet am 24. März 1943 in Theresienstadt
• ab 5. Mai 1941 Maria-Theresia-Straße 23
• seit 22. August 1941 Reichenbachstraße 27
(Stadtarchiv München, DE-1992-KKD-3402 CC BY-ND 4.0)


 

Im Rahmen der „Zwangsarisierung“ seit 1939 sollte Elisabeth Braun ihr Haus verkaufen. Sie wehrte sich lange vergebens und vererbte 1940 das Haus der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Bayern mit der Auflage, es für Zwecke der Betreuung und Mission sogenannter nichtarischer Christen zu verwenden. Nach Elisabeth Brauns Deportation fiel das Hildebrandhaus an das Deutsche Reich und wurde bis 1945 vom NS-Regime genutzt. Bis 1948 verwaltete das Haus die US-Militärregierung und im selben Jahr trat die Kirche ihr rechtmäßiges Erbe an. Die Kirche hatte während der NS-Zeit n ichts für ihre Mitglieder mit jüdischem Hintergrund getan und zu den Schandtaten geschwiegen. Jetzt machte sie ihre Ansprüche geltend bis sie schließlich 1967 das Haus verkaufte. Die Villa wurde nun zu einem Spekulationsobjekt bis schließlich die Stadt München sie erwerben konnte. Nach einer Restaurierung hat seit 1977 die Monacensia, „das literarische Gedächtnis der Stadt München“, ihren Sitz im Hildebrandhaus. Eine denkmalgerechte Generalsanierung lässt die Villa seit 2016 in neuem Glanz erstrahlen. Ein Besuch ist sehr lohnenswert. Das Literaturarchiv gehört zur Münchner Stadtbibliothek und umfasst ca. 150.000 Bände und viele Nachlässe, u.a. die kompletten Nachlässe von Klaus und Erika Mann. Die gleichzeitige Nutzung als Ausstellungshaus bietet Platz für zwei Dauerausstellungen: „Literarisches München“ zeichnet ein Bild des literarischen Münchens zur Zeit von Thomas Mann und „Das Hildebrandhaus. Biografie einer Künstlervilla“ zeigt die wechselvolle Geschichte des Hauses. Daneben gibt es immer wieder Sonderausstellungen.

Besonders schön sitzt man im Sommer im Lesegarten. Das im Haus befindliche Café MON versorgt Besucher zusätzlich zur geistigen mit leiblicher Labsal.


Das 118 qm große und sechs Meter hohe Atelier. Hier fertigte Adolf von Hildebrand seine Großprojekte. Foto: privat


Text und Recherche

  • Klaus-Peter und Ruth Münch

Quellen

Literatur

  • Kuller, Christiane / Schreiber, Maximilian: Das Hildebrandhaus – Eine Münchner Künstlervilla und ihre Bewohner in der Zeit des Nationalsozialismus, München, 2006.

  • Bäumler, Klaus: Schatten über dem Hildebrandhaus. Auf Spurensuche nach Elisabeth Braun. In: Bäumler, Klaus / Schönlebe, Dirk: Von ihren Kirchen verlassen und vergessen?: zum Schicksal Christen jüdischer Herkunft im München der NS-Zeit, Herausgegeben vom Bezirksausschuss Maxvorstadt, München, 2006.

  • Leonhardt, Henrike: Eine arisierte Künstlervilla: Elisabeth Braun und das Münchner Hildebrandhaus, Manuskript Bayerischer Rundfunk, München, 2008.

 
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