Rasso Rainer

L-R

Geboren am 17. Januar 1899 in München

Inhaftiert am 21. Mai 1943 im Konzentrationslager Natzweiler-Struthof

Verstorben am 13. Dezember 1946 vermutlich in München

 

Familie

(Joseph) Rasso Rainer wurde am 17. Januar 1899 in München geboren. Seine Eltern waren Josef Frey und Josephina Rainer. Beide waren zum Zeitpunkt seiner Geburt erst 17 Jahre alt. Rasso Rainer wurde unehelich geboren. Der Beruf seines Vaters war Schriftsetzer, seine Mutter war Buchhalterin in Haag/Oberbayern. Sie heiratete später den Kaufmann Wilhelm Müller und zog nach Stuttgart. Rasso Rainer gab an, er habe seine Eltern nach Geschwistern gefragt und nie eine Antwort erhalten.


Kindheit und Jugend

Rasso Rainer wurde von seiner Großmutter, die ebenfalls Josephina Rainer hieß, aufgezogen, vermutlich bis zu ihrem Tod.

In den Akten des Stadtarchivs München ist notiert, dass seine Heimatgemeinde Haag war, und dass er am 3. September 1908 im Alter von 9 Jahren nach München „in eine Anstalt“ in der Klenzestraße 10 kam. Rasso Rainer selbst gab an, er habe in der Schule unglaublich gut gelernt, mit 14 Jahren habe er dann die Schule verlassen.

Ab Oktober 1913 hat er in Pasing gelebt und am 13. März 1914 ist sein Aufenthalt in einem Jugendheim notiert. Ab April 1914 ging er als Dienstbote in München und in Olching in Stellung.

Nach seinen eigenen Angaben arbeitete er dann ca. zwei Jahre in einem kleinen Warenhaus, danach ab 1916 in München in einer Fotografen-Werkstatt. 1917 rückte er in das Jäger-Bataillon in Kempten im Allgäu ein. Über seine Erlebnisse als Soldat im Ersten Weltkrieg ist nichts Weiteres bekannt.


Verurteilungen und Gefängnisstrafen

Am 29. Juli 1919 ist Rasso Rainer wieder in München gemeldet, er wechselte sehr häufig seinen Wohnort. Im Dezember 1919 arbeitete er kurz beim Kaufhaus Oberpollinger. Im Januar meldete er sich in München ab und ging nach Stuttgart. Nach 8 Tagen meldete er sich wieder in München an.

1920 erhielt er seine erste Verurteilung: eine Gefängnisstrafe von 15 Monaten wegen Diebstahls.

Das Volksgericht München I verurteilte ihn am 20. Februar 1923 abermals wegen Diebstahls zu fünf Jahren und drei Monaten Gefängnis und zehn Jahren Ehrverlust, das bedeutete die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte.

Rasso Rainer kam in das Zuchthaus Kaisheim. Nach einem Ausbruchsversuch erhielt er eine neue Strafe von vier Jahren. Ab November 1923 war er im Zuchthaus Straubing, aus dem er am 10. März 1931 entlassen wurde.

Im Februar 1932 brach Rasso Rainer gemeinsam mit einem Komplizen beim „Herrenausstatter Richter“ am Marienplatz ein. Sie stahlen Ware im Wert von 5.058 Reichsmark. Am 21. Januar 1933 verurteilte das Strafgericht München ihn für dieses Vergehen zu einer Gefängnisstrafe von viereinhalb Jahren und zehn Jahren Ehrverlust.

Am 15. Februar 1933 kam er erneut in das Zuchthaus Straubing.


Im Strafgefangenenlager Esterwegen und im Zuchthaus Ensisheim/Elsass

Bisher ist nicht geklärt, wann Rasso Rainer seine Strafe abgesessen hatte.

Vermutlich wurde er, wie sehr viele der Verurteilten in dieser Zeit, unmittelbar nach dem Abbüßen seiner Strafe, in die Sicherungsverwahrung überführt, welche auch in Zuchthäusern oder in Lagern vollzogen wurde.

Seine nächsten Spuren finden sich auf Einkaufslisten aus dem Strafgefangenenlager Esterwegen ab Juli 1939. Dort sind die niedrigen verfügbaren Geldbeträge und die eingekauften Waren der einzelnen Gefangenen notiert. Rasso Reiner kaufte sich jeden Monat, wenn es erhältlich war, Margarine, vier bis fünf Päckchen Tabak, manchmal dazu Papier und Streichhölzer und Porto im Wert von 12 Pfennig, einmal konnte er auch Bonbons erwerben.

Am 5. Dezember 1940 wurde er ins Zuchthaus Ensisheim im Elsass gebracht.


Inhaftierung im Konzentrationslager Natzweiler-Struthof

Veranlasst durch die Kripo München wurde Rasso Rainer am 21. Mai 1943 in Sicherungsverwahrung in das Konzentrationslager Natzweiler-Struthof gebracht, das im besetzten französischen Elsass lag. Er erhielt dort die Häftlingsnummer 3843. Als Berufe wurden auf seiner Häftlingskarte Kaufmann und Hilfsarbeiter angegeben.

Rasso Rainer wurde Opfer der „medizinischen“ Versuche mit dem Giftgas Phosgen, welche in der Gaskammer des Konzentrationslagers unter Leitung von Prof. Dr. Otto Bickenbach durchgeführt wurden. Er überlebte.

Rasso Rainer verstarb am 13. Dezember 1946 im Alter von 46 Jahren vermutlich in München, die Todesursache ist unbekannt. Sein früher Tod könnte eine Folge der Phosgen-Versuche im Konzentrationslager gewesen sein, die seine Lungen sehr geschädigt hatten.


Die Versuche mit dem Giftgas Phosgen im Konzentrationslager Natzweiler-Struthof

Dr. Otto Bickenbach, seit 1933 NSDAP- und SA-Mitglied, testete an Häftlingen das Medikament Urotropin als Gegenmittel gegen die verheerende Wirkung des Giftgases Phosgen. Heinrich Himmler persönlich hatte im April 1943 die Erlaubnis für diese Versuche gegeben. Im Konzentrationslager Natzweiler-Struthof wurde daraufhin eine Gaskammer eingerichtet.

Bevor die Versuchspersonen ca. 25 Minuten lang in diese Gaskammer geschickt wurden, erhielten sie oral oder intravenös unterschiedliche Mengen Urotropin, einige erhielten auch keinerlei Medikation. Bickenbach wollte die Wirksamkeit dieses Medikaments testen.

Bickenbach notierte in seinem Bericht, dass er zwei Versuchsreihen mit insgesamt 47 Häftlingen gemacht hat. Die erste fand vom 30. Mai 1943 bis zum 12. Juli 1943 statt, die zweite von Juni bis August 1944. Sieben Personen verstarben daraufhin an ihren Lungenödemen. Einer verstarb nach Kriegsende im Juli 1945. Über die anderen ist nichts bekannt. Die tatsächliche Zahl der Versuchspersonen ist nicht klar, in der Literatur werden unterschiedliche Zahlen - von 90 bis 150 Opfern bei 50 bis 60 Todesfällen - genannt. Mehrere überlebende Häftlinge beschrieben sehr eindrücklich, wie furchtbar der Tod ihrer Kameraden bei oder kurz nach diesen Versuchen gewesen sei.

Ab Juni 1943 gab es eine enge Zusammenarbeit mit der Medizinischen Fakultät der Universität Straßburg, welche in der NS-Zeit zu einer sehr bedeutenden medizinischen Forschungsstätte wurde. Otto Bickenbach hatte dort seit 1941 eine Professur. Der Anatomie-Professor August Hirt beging dort ein einzigartiges Medizinverbrechen: Er veranlasste die Ermordung von 86 in Auschwitz „bestellten“ jüdischen Häftlingen im Konzentrationslager Natzweiler-Struthof zum Zwecke des Aufbaus einer anatomischen Skelett-Sammlung.

Im August 1944 wurde für Heinrich Himmler ein Abschlussbericht über die Phosgen-Versuche erstellt.

Am 23. November 1944 wurden die Mediziner von alliierten Truppen in Straßburg festgenommen und in ein Kriegsgefangenenlager in Südfrankreich gebracht. Otto Bickenbach und der Pädiater Kurt Hofmeier verließen rechtzeitig ihre Patienten und flohen über den Rhein ins verbleibende Deutsche Reich.


Nach dem Krieg Verurteilung von Dr. Otto Bickenbach

Bickenbach wurde am 17. März 1947 verhaftet, er kam in Frankreich in Untersuchungshaft. 1952 wurde er von einem Militärgericht in Metz als Kriegsverbrecher zu lebenslanger Haft und Zwangsarbeit verurteilt. Im Revisionsverfahren wandelte der Militärgerichtshof in Lyon 1954 das Urteil in 20 Jahre Zwangsarbeit um. Bickenbach behauptete in diesem Verfahren, die Häftlinge hätten freiwillig an den Versuchen teilgenommen. In der Zeit der deutsch-französischen Aussöhnung nach den Pariser Verträgen von 1954 wurde seine Strafe 1955 in eine zehnjährige Haftstrafe verwandelt. Am 18. September 1955 erhielt Otto Bickenbach eine Amnestie und wurde vorzeitig nach 8 Jahren Haft entlassen.


Niederlassung als Arzt in Nordrhein-Westfalen

Nach seiner Rückkehr nach Deutschland beantragte Bickenbach die Eröffnung eines berufsgerichtlichen Verfahrens zu seiner Rehabilitierung als Arzt. Die Gerichtsverhandlung beim „Berufsgericht für Heilberufe Nordrhein-Köln“ mit einem Richter und zwei Ärzten als Beisitzer dauerte nur einen Tag. Zwar sei seine letzte Versuchsreihe 1944 als eindeutig rechtswidrig anzusehen, angesichts eines „übergesetzlich entschuldigenden Notstands“ nach StGB § 54 läge jedoch ein eindeutiger Schuldausschließungsgrund vor. Das Ergebnis der Verhandlung im Februar 1966 lautete: „Es wird festgestellt, dass der Antragssteller durch die Beteiligung an diesen Versuchen seine ärztliche Berufspflicht nicht verletzt hat.“

Bickenbach ließ sich zunächst in Köln als Arzt nieder. Am Ende seiner Karriere war Otto Bickenbach Internist in Siegburg, wo er am 26. November 1971 verstarb.


Text und Recherche

  • Bettina Gütschow, Dezember 2025

Quellen

  • Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Kriminalbiologische Sammelstelle 10871.

  • Stadtarchiv München EWK65-R718.

  • Stadtarchiv München PMB-R115.

Internetquellen

Literatur

  • Klee, Ernst: Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer, Frankfurt 1997, Seite 378-391.

  • Möhler, Rainer: Die Reichsuniversität Straßburg 1940-1944. Eine nationalsozialistische Musteruniversität zwischen Wissenschaft, Volkstumspolitik und Verbrechen, Stuttgart 2020.

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Johann Pömmerl

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Albert Reich