Alfred Sänger

 

Bild: Technische Universität München | TUM Archiv | PA.Stud. Sänger, Alfred

 

Geboren am 4. September 1894 in Augsburg 

Ermordet am 25. November 1941 in Kaunas


 

Alfred Sänger wurde am 4. September 1894 in Augsburg geboren und war das vierte Kind von Julius Sänger und seiner Ehefrau Rosa, geborene Einstein.  Alfreds Geschwister waren Berta (geb. 26. Juni 1890), Siegfried Friedrich „Fritz" (geb. 12. September 1891), Elsie (geb. 4. April 1893) und Stefan Franz (geb. 2. April 1897). 

Herkunft

Der Vater, Julius Sänger, wurde am 11. April 1863 in Neunkirchen/Saar geboren und war Sohn des jüdischen Lehrers Aron Sänger. Seit 1881 lebte Julius Sänger in Augsburg, wo auch schon seine Schwester „Malchen“ Amalie Knapp lebte. Am 14. Februar 1888 heiratete er Rosa Einstein. Sie wurde am 8. April 1863 in Buttenwiesen geboren. Ihre Eltern waren Samuel Einstein und Miriam Marie, geborene Maier.

Julius Sänger war seit 1888 zusammen mit seinem Schwager Franz Knapp Mitinhaber des sehr erfolgreichen und renommierten, 1879 gegründeten, Augsburger Tiefbauunternehmens Kleofaas & Knapp. Das Unternehmen beschäftigte mehrere hundert Arbeiter. In vielfältiger Weise engagierte sich Julius Sänger in Branchenverbänden, so war er z.B. Vorstand des Bayerischen Baugewerbeverbandes. Er trat auch sehr für die Belange seiner Wahlheimat Augsburg ein. Über viele Jahre war er hier im Armenpflegschaftsrat oder als Distriktvorsteher tätig. 1927 wurde ihm, in Anerkennung seiner Dienste, der Titel Landesgewerberat verliehen. Er verstarb am 1. Januar 1930 und ist auf dem Israelitischen Friedhof in Augsburg neben seiner Frau Rosa beigesetzt.


Kindheit und Jugend

Aus einem von Alfred Sänger handschriftlich verfassten Lebenslauf ist etwas über seine Kindheit und Jugend zu erfahren. Nach der Volksschule wechselte er zunächst auf das humanistische Gymnasium in Augsburg. Nach drei Jahren, 1907, wechselte er „im Hinblick auf meinen späteren technischen Beruf“ an das Realgymnasium in Augsburg, wo er am 12. Juli 1913 das Reifezeugnis erwarb. Bereits im Herbst 1913 schrieb sich Alfred Sänger als Studierender der Bauingenieur-Abteilung an der Königlichen Technischen Hochschule München ein. Während seiner Studienzeit war er auch Mitglied der „Freien schlagenden Verbindung Thuringia“ und des „Akademischen Sport-Clubs“.


1. Weltkrieg

Gleich zu Kriegsbeginn meldete sich Alfred Sänger, am 6. August 1914, als Kriegsfreiwilliger und unterbrach dafür sein Studium. Er scheint ein guter Soldat gewesen zu sein, da er in kurzen Abständen immer wieder befördert wurde. Weniger als ein Jahr später wurde er, am 7. Juli 1915, zum Unteroffizier und bereits zwei Monate später zum Offiziersaspiranten (Anwärter) ernannt. Am 15. Februar 1917 folgte die Beförderung zum Leutnant der Reserve.

Für seine militärischen Verdienste wurde er mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse sowie dem Militär-Verdienst-Orden 4. Klasse mit Schwertern ausgezeichnet.

Nach Ende des Krieges nahm Alfred Sänger 1918 das unterbrochene Studium wieder auf und schloss es 1921 an der Technischen Universität München mit einem Diplom als Bauingenieur ab.

Bild: Technische Universität München | TUM Archiv | PA.Stud. Sänger, Alfred


Berlin

Wann genau Alfred Sänger bei der Julius Berger Tiefbau AG seine Beschäftigung aufnahm, wissen wir nicht. Vermutlich wollte er dort berufliche Erfahrungen sammeln, die der väterliche Betrieb nicht zu bieten hatte. Die Firma Berger ging später in der heute noch bekannten Firma Bilfinger AG (bis 2012 Bilfinger & Berger AG) auf. Sie war in zahlreichen Eisenbahnprojekten im In- und Ausland involviert, war am Ausbau der Berliner U-Bahn beteiligt oder errichtete Molen, Viadukte, Kanäle und Häfen.  

Bekannt ist aber, dass sich Alfred Sänger 1926 für ein Jahr in Rumänien aufgehalten hat, um beim Bau des Telin-Tunnels mitzuwirken. Dieser Eisenbahntunnel wurde durch die Firma Julius Berger Tiefbau AG errichtet.  

1928 heiratete er Judith Remde, geborene Berger. Sie war die Tochter von Julius (Juda) Berger, dem Vorstandsvorsitzenden der Julius Berger Tiefbau AG. Im Handbuch der Deutschen Aktien-Gesellschaften, Ausgabe 1932, ist Alfred Sänger als Prokurist der Julius Berger AG aufgeführt. 

Judith Remde brachte aus ihrer ersten Ehe die Tochter Ilse mit in die Ehe ein. Mit Alfred Sänger hatte sie keine Kinder. Die Ehe bestand nur bis Herbst 1935 und wurde dann geschieden.  

Alfred Sänger zog wieder in seine Heimatstadt Augsburg. Ab Herbst 1936 war er dann in München gemeldet. Seit dem 15. September 1936 war Alfred Sänger Leiter der Münchner Filiale des Familienunternehmens J. Kleofaas & Knapp Hoch- und Tiefbau. Im November 1938 war er nochmals nach Augsburg gezogen, kehrte aber am 2. Oktober1939 nach München zurück.


Verfolgung

Kennkartendoppel 1938/1939

Bild: Stadtarchiv München

Im Zuge der Reichspogromnacht kam es zu einer noch nie dagewesenen Verhaftungswelle. Etwa 30.000 Juden wurden  in die Konzentrationslager Buchenwald, Sachsenhausen und Dachau verschleppt. Alfred Sänger und sein Vetter Max Knapp wurden am 11. November 1938 in Augsburg verhaftet und von der Gestapo in das Gefängnis in der Karmelitengasse gebracht. Alfred wurde von dort nach Dachau gebracht und war bis zum 15. Dezember 1938  interniert. Sein Bruder Fritz war am 11. November 1938 in München am Bahnhof verhaftet worden und wurde auch nach Dachau gebracht.

Was in der Zeit nach der Entlassung in Dachau und der Deportation 1941 geschehen ist, wissen wir nicht. Wir können es allenfalls erahnen. Die Familie war ihrer Firma und damit ihrer Lebensgrundlage beraubt worden. Alfred Sänger arbeitete als Lehrer in der jüdischen Lehrwerkstatt und für das Hoch- und Tiefbauunternehmen Josef Riepl.

Am 20. November 1941 wurde Alfred Sänger von München nach Kaunas deportiert. Auf der Homepage der Gedenkstätte Yad Vashem ist diese Deportation dokumentiert. Die letzten Lebenstage von Alfred Sänger dürften so verlaufen sein.

Die für die Deportation vorgesehenen Personen wurden ab dem 7. November 1941 über ihren bevorstehenden Transport benachrichtigt. Zwischen dem 11. und 14. November wurden sie aus ihren Wohnungen geholt und zum Barackenlager Milbertshofen gebracht. Das Lager war streng bewacht, damit niemand flüchten konnte.

Die Geschehnisse am Transporttag wurden später von Augenzeugen beschrieben. Alfred Hartmann berichtete z.B.:

„Am 20. Nov. morgens 4 Uhr, nachdem um 2 Uhr nochmals Kaffee gefaßt wurde, traten die Abwanderer, deren Gepäck durch einen besonderen Arbeitsdienst bereits tags zuvor in die Wagenabteile verbracht wurde, bei strömenden Regen in Gruppen zum Abmarsch an unter Bedeckung stärksten militärischen Aufgebots, einer ganzen SS-Kompanie. Nach Ausführung des laut abgegebenen Kommandos „Laden“ erfolgte der Abmarsch aus dem Lagergelände, das allen Verdunkelungsvorschriften zuwider durch zahlreiche Scheinwerfer taghell erleuchtet war. Unter dem Geleit der SS wurde zum Ladebahnhof Milbertshofen, 20 Minuten vom Lager entfernt, marschiert und dort wurden sofort unter ziemlichem Geschrei der Bewachungsmannschaften die Abwanderer in die einzelnen Wagen eingewiesen. Es waren Personenwagen ältester Konstruktion 3. Klasse, wobei 9-10 Mann in jedem Abteil nebst ihrem Gepäck untergebracht werden mußten, so daß höchstens die Hälfte der Fahrgäste auf den Sitzbänken Platz nehmen konnte, während die übrigen gedrängt stehen mußten, da das Gepäck nicht in den Gepäcknetzen allein untergebracht werden konnte."

Die Fahrt von München nach Kaunas dauerte drei Tage und am Samstagabend, dem 22. November 1941, erreichte der Zug den Bestimmungsort.

Wenige Tage nach ihrer Ankunft führte man die Deportierten zu Gruben, wo sie von Gestapo-Einheiten und der litauischen Hilfspolizei ermordet wurden.

Alfred Sänger wurde bei den heute als „Neunte Festung" bezeichneten Massakern am 25. November 1941 getötet. Bei zwei getrennten Massenerschießungen wurden 4.934 deutsche Juden in der Nähe von Kaunas, Litauen, ermordet. Dies waren die ersten systematischen Massenmorde an deutschen Juden während des Holocausts.

Karl Jäger war der Leiter des Einsatzkommandos 3, einer mobilen Tötungseinheit. Unter seinem Kommando wurden alle Juden nach ihrer Ankunft in der Neunten Festung aus den Zügen geholt und dort kurz nach ihrer Ankunft erschossen. Bei der Erschießung am 25. November wurden 1.159 Männer, 1.600 Frauen und 175 Kinder (aus Berlin, München und Frankfurt) ermordet. Jäger, ein skrupelloser Killer, dokumentierte die gesamte Aktion.


Das Schicksal seiner geschiedenen Frau

Judith Sänger, geschiedene Remde, geborene Berger (Bild: Besitz der Familie Biedermann)

Judith Sänger, geschiedene Remde, geborene Berger (geboren am 01. Oktober 1902 in Bromberg) nahm sich am 21. Februar 1941, unter dem Druck der Judenverfolgung, in ihrer Wohnung in Berlin-Charlottenburg das Leben. Ihre Urne wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee beigesetzt. Ihre Tochter Ilse (geboren am 3. August 1922), die aus der ersten Ehe mit Emil Remde stammte, überlebte die Schoa. 

Ihre Eltern, Julius (Juda) Berger und seine Ehefrau Flora, geb. Meyer wurden am 14. September 1942 nach Theresienstadt deportiert. Flora, geboren am 15. Oktober 1868, überlebte nur wenige Wochen und verstarb am 18. Oktober 1942. Julius Berger verstarb am 13. Juli 1943.

Erinnerung an Alfred Sänger

Bild: Tom Hauzenberger

Am 24. Mai 2023 wurde vor dem letzten Wohnsitz von Alfred Sänger am Franz-Josef-Strauß-Ring 4 ein Erinnerungszeichen übergeben. Die Gedenkfeier fand im Beisein von mehreren Familienmitgliedern, unter anderem aus den USA, statt.


Text und Recherche

  • Nancy Freund-Heller / Stefan Dickas

Quellen

  • Stadtarchiv Augsburg, Signatur MB Sänger Alfred, Sänger Julius und Signatur MK 1 Sänger Rosa.

  • Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Signatur MHIG 2434.

  • Technische Universität München, TUM Archiv, PA.Stud. Sänger, Alfred.

  • Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Abt. IV Kriegsarchiv, Signatur OP 12072.

  • Staatsarchiv München, OFD 7489.

Internetquellen

Literatur

  • Handbuch der Deutschen Aktien-Gesellschaften, Band 1 1932.

  • Janetzko, Maren: “Die Restitution mittelständischer Unternehmen in Augsburg und Memmingen” in: Fassl, Peter (Hrsg): Ausplünderung der Juden in Schwaben während des Nationalsozialismus und der Kampf um Entschädigung, Konstanz, 2020, S. 177-179.

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